Panama-Stadt, April 2005
Lieber Leser!
Mit dem heutigen Tag
faengt mein Abschied aus Bolivien an und mir ist gar nicht nach Unterhaltung.
Ich kurble aus dem Tal der Stadt, oben auf der Hochebene an der Weggabelung
angekommen, blaest mir der Wind den Rest des Tages entgegen, treibt Staub und
Sand vor sich her, neckt mich und prueft meinen Willen, dabei habe ich mich
doch vor langer Zeit schon fuer diese Reise entschieden.
Die Leute der wenigen
Doerfer auf der Strecke sind mir passend dazu, heute auch nicht gut gesonnen,
blicken mich abweisend an. In einem Ort fliegt ein Brocken von Stein ueber eine
Mauer hinter der ich ich seit geraumer Zeit im Windschatten raste. Die
Schuljungen aus der Wurfrichtung, grinsen alle nur und verkruemeln sich auf
mein Gefluche.
Abends in der Herberge
muss ich mit dem Hotelchef noch laenger ueber den Preis verhandeln, da er sich
naemlich noch Bier davon kaufen wollte, wie er mir frech erklaerte.
Der neue Tag erschoepft
mich mit langen uneinsichtigen Anstiegen bis ueber 4000 Meter, gegen abend muss
ich immer oefter pausieren, damit sich mein Puls wieder beruhigt, kaue ohne
Appetit irgendwas, nur damit ich es ueber den naechsten Huegel schaffe, bis ich
dann in Copacobana am Ufer des Titikakasees angelange.
Dieses kleine Meer begrenzt ein Flaeche von 8300 Quadratkiometern,
schillert in der Hochlandsonne 272 Meter blau in seine Tiefe. Nach Osten hin
ragen die weissen Kuppen der
Koenigskordilleren in den Himmel.
Eine Fahrt zur
Sonneninsel steht auf dem Programm, der Wiege der Inkakultur. Wenn man der
Legende glaubt, sandte dort Schoepfergott Viracocha das Geschwisterpaar Manco
Capac und Mama Ocllo zur Erde, diese sich dann anschickten einen geeigeneten
Ort zur Gruendung des Sonnereiches zu suchen. Durch eine undurchsichtige
Vielzahl an Kriterien von Zeit und Raum fanden sie schliesslich den “Nabel der
Welt”, denn das bedeutet der Name der Stadt Cusco. Dort bohrte Manco Capac
seine goldene Lanze in den Boden. Einer anderen Geschichte nach, soll sich ja
hier auch noch das Grab von Pippi Langstrumpfs Mutter befinden.
Das Boot kaempft mit der
windgepeitschten See, schaukelt sich durch die Wellenberge. Einer Touristin
wird so schlecht vor Angst, dass sie paralysiert, kein Wort mehr rausbekommt,
ihr Gliedmassen nicht mehr bewegen kann. Nach zwei Stunden landen wir endlich
an der Nordseite, ein Pfad fuehrt von dort zu einem Inkabrunnen, der Jugend und
Weisheit verspricht, dem aber das Wasser vor Kurzem ausging, weiter zum heiligen Stein, dem Ort der
geschwisterlichen Niederkunft. Dort band man frueher Jungfrauen fest und
opferte sie fuer Inti, spaeter kam das Einsehen und man entschied sich fuer
Lamas.
Neben einer Tempelanlage
und einer rundfoermigen Steingruppe, wo sich die Haeupter frueher
beratschlagten, gibt es weiter abseits noch den heiligen Felsen, mit einer
Pumaabbildung. Mystische Vereine aus aller Welt besuchten schon diesen Ort, da
man ihm Energie nachsagt. Auch wir sollten uns was wuenschen, fordert uns der
Fuehrer auf, und etwas zaghaft naehert man sich der Wand, legt die Haende
darauf und konzentriert sich fuer ein paar
Minuten auf seine Wichtigkeiten.
Meine kleine Gruppe ist
auf der Wanderung ueber die Insel so ins Gespraech vertieft, dass wir an der
falschen Uferseite absteigen, wo keines unserer Boote wartet. Wir ueberreden
einen Fischer uns zur Anlegestelle zu bringen, aber dort sind sie schon
abgefahren, er funkt mit dem Taschenspiegel uebers Wasser und schliesslich
dreht ein Boot dann bei. Der See hat sich mittlerweile beruhigt, bald setzen
wir ins andere Boot ueber, unser lieber alter Mann rauft sich die Haare ueber
ein paar neue Kerben die das beigedrehte Boot in seiner Bordwand hinterlaesst.
Vorher habe ich mir noch die Windjacke an einem zersplitterten Brett seiner
Kajuete zerrissen, bei dem diletantischen Versuch, das Boot aus dem Schilf
herauszustaken, darauf es sich bloss im Kreis drehte.
An der Grenze
angekommen, weisen mich die Beamten darauf hin, ich sei schon zwei Tage ueber
dem Visum, sie erklaeren mir Erstaunten ich haette die einundreissigsten Tage
der Monate ignoriert. Zwei deutsche Touristen bekommen das mit und finden nun,
sie haetten was zu lachen unter ihren maechtigen Cowboyhueten, weswegen sie
sich erst noch einen Spruch anhoeren muessen. Aber alles weiter nicht so
schlimm, ich zahle zwei Tagessaetze und bin alsbald in Peru.
Auf vierzig aus Schilfmatten gebauten Inseln entlang der Westseite des Sees
schwimmt hier der Stamm der Uros. Selbst die Inka konnten dieses Voelkchen
damals nicht unterwerfen. Heute haben sie sich dagegen den Marktgesetzen
untergeordnet und sich leidlich auf den Strom der Touristen eingestellt, denen
sie dann Souvenirs verkaufen. Ihre typischen Binsenboote sieht man am ganzen
See herumschaukeln. Der Abenteurer und Forscher Thor Heyderdahl holte sich den
Meister dieser Bootsbauer, Paulino Esteban mit Helfern von dort, konstruierte mit
ihnen ein Boot, wie er es aus aegyptischen und phoenizischen Wandmalereinen
ableitete und beim zweiten Anlauf im Jahre 1970 gelang es ihm dann auch, mit
der “Ra 2” den Atlantik von Marokkos Kueste aus zu den Antillen zu ueberqueren,
um damit seine Theorie ueber die Moeglichkeit eines Kulturaustausches oder
einer Besiedlung von der “alten Welt” aus, zu verfestigen.
Weiter fahre ich auf der
Hochebene, hinter den Staedten Puna und Juliana komme ich nur noch durch kleine
verschlafene Siedlungen, karge Bergzuege bestimmen das Bild, das Vieh auf den
Feldern kaut sich durch die duerre Vegetation, der Wind blaest kalt, immer eher
ziehen sich jeden Tag die Wolken zusammen, die Gegend sieht ziemlich
deprimierend aus, wenn’s so truebe ist. Eine lange Steigung zieht sich hoch zum
Pass auf 4335 Metern, im Dunkeln rolle ich auf der anderen Seite zu einem
heissen Thermalbad herunter und aale mich bald nach der Kaelte draussen im
heissem Wasser.
Vor Cusco haeufen sich
dann schon die Sehenswuerdigkeiten, da gibt es alte spanische Kirchen, halb
ausgegrabene Inkaruinen, ich betrachte
vom Aussichtsfelsen eine Tempelanlage fuer Viracocha. In den Orten verkaufen
die Frauen an Fruehstuecksstaenden heisse staerkende Quinuagetraenke die braucht
man auch in diesem rauhen Hochlandklima, wo alle Taetigkeit etwas mehr Kraft
kostet.
Im Schmuddelwetter
empfaengt mich dann die Stadt, der seit Tagen anhaltende Regen liess einen Bach
entlang der Strasse zum Fluss ansteigen, der einen endlosen Strom aus
Plasteabfaellen herunterspuelt. ‘Cusco - Weltkulturerbe?’, gerade werde ich
eher an Elendsviertel indischer Grosstaedte erinnert.
Auf den steilen
gepflasterten Inkagassen im Altstadtkern bilde ich den Kopf der Schlange, bis
ich dann endlich noch ein billigeres Hotel in dieser touristischen Goldgrube
finde.
Die Muenzen muss man in
einigen Landesecken sprichwoertlich zweimal umdrehen, denn es sind Unmengen von
Falschpraegungen im Umlauf. Es dauerte ein ganze Weile, bis ich sie endlich unterscheiden
konnte, jeder Haendler probiert sie ja wieder loszuwerden, am besten an die
Touris oder nachts an Besoffene.
Manchmal bekommt man mehrere falsche
Muenzen auf einmal als Wechselgeld zurueck und es nervt dann, wenn man beim
gleichen Haendler Stueck fuer Stueck wieder gegen Richtige eintauscht, waehrend
beide Seiten die Muenzen nun penibel genau untersuchen. Zweimal verlor ich die
Geduld und feuerte welche in die naechste Ecke, dass sie mich fassungslos
anschauten, wie, als ob das “gute” Falschgeld doch noch zu was nuetzen wuerde.
Deshalb verschenke ich sie dann spaeter
auf Wunsch an andere, bevor ich sie bis zur naechsten
Geldwaschgelegenheit noch weiter mit mir rumschleppe.
Kommt man nach Cusco
holt man sich am besten ein Touristenticket, um zum Vorzugspreis die
wichtigsten Museen und Ruinenstaedte besichtigen zu koennen.
Ich besuche ein
ehemaliges Nonnenkloster mit Gemaelden aus dem spaeten Mittelalter bis in die
Romantik. Hauptstueck ist eine Art Klappaltar mit Szenen aus der Christusgeschichte
ausgefuellt, der geschlossen buendig und ohne sich mit einer anderen Figur zu
beruehren passt, eine filigrane Meisterleistung der Nonnen, die lange Jahre in
Anspruch nahm. Mit inbegriffen ist auch eine allabendliche Auffuehrung
traditioneller Taenze, trotz anderslautender Meinung einiger Touristen ueber
den eingespielten Ablauf konnte ich mich nicht sattsehen an der Grazie der
fuenf Paare und ihrer Freude, die das Tanzen hervorruft.
Die Inka bewiesen ihren
Anspruch als Hochkultur in allen nur denkbaren Dingen. Man hinterliess der
Nachwelt Bauten, die scheinbar fuer die Ewigkeit gedacht waren. Im Stadtkern
gibt es meterhohe Mauern aus zyklopischen Steinen, die ineinander verwinkelt
fugenlos buendig selbst das grosse Erdbeben von 1650 unbeschadet ueberstanden,
waehrend die von den Spaniern daraufgebauten Haueser allesamt ineinander
fielen, bis heute benutzt man ihre Fundamente weiter. Solche Bloecke wurden von
den Eroberern auch fuer den Aufbau ihrer Kathedralen benutzt, die man immer
ueber ihre alten Tempel setzte, eine zermuerbende Taktik, die man bis nach
Mexiko verfolgen kann. Jeder groessere Ort in Suedamerika besitzt einen
zentralen Platz, eingebuergert hat sich oft der Name “Plaza de las Armas”, was
soviel wie “Platz der Waffen” bedeutet. Auch dies ist eines der vielen
Ueberbleibsel, des kriegerischen Einflusses der Spanier. Zu Inkazeiten hiess
dieser hier in Cusco “Platz der Freude”.
Man verfuegte ueber ein
40000 Kilometer langes Strassennetz, welches das Reich in seiner groessten
Ausdehnung vom heutigen Equador bis nach Chile und Argentinien verband.
Stafettenlaeufer leiteten wichtige Nachrichten bis zu 400 Kilometer pro Tag
weiter. Auch eine gemeinsame Sprache, das Quechua, wurde von Pachacuti, einem
der groessten Sonnenkoenige eingefuehrt, um die Bevoelkerung zu vereinen. Es
existierte eine Knotenschrift, die sich in Ziffern ausdrueckte, viele
technische Erungenschaften wurden von den eroberten Voelkern uebernommen, man holte sich die besten Handwerker nach
Cusco, wo sie ihre Kuenste weiterausfuehren konnten, ein geschickter Schachzug,
der ihnen Anerkennung bei den unterworfenen Staemmen einbrachte und somit fuer
Frieden sorgte. Man fuehrte Statistiken, die das Verhaeltnis zwischen
Produktion und Konsumtion abwogen, baute Speicher aus Ernteueberschuessen
fetter Jahre fuer Zeiten der Duerre. Der Gottkoenig, der Sapa Inka versammelte
um sich eine religioese und geistige Elite, die nicht etwa aus Verwandtschaft
bestand, sondern fuer Talente offen war. Das Individuum allein zaehlte nicht,
sondern die Familie, jede Gruppe war mit ihrem Fuehrer der naechstgroesseren
Gruppe verantwortet. Doch der Verlust an persoenlicher Freiheit war und ist der
hohe Preis, den die Massen fuer wirtschaftliche Sicherheit zahlen.
In einem anderen Museum
treffe ich einen Karikaturisten, der mich im einheimischen Viertel ueber zwei
Hoefe in eine “Picanteria” fuehrt, einem einfachen Gasthaus. Dort sitzen wir
mit Hinz und Kunz auf langen Baenken, bestellen das Einheitsgericht und trinken
dazu Chicha aus grossen Toepfen. Bald unterhalten wir uns ueber den ganzen
Tisch, solche Augenblicke sind mir immer alle Reisestrapazen wert.
Oberhalb der Stadt liegt
die Ruinenstaette Sacsqayhuaman. Weitraeumig angelegt galt sie als zeremoniale
Versammlungsstaette, links auf den Haengen beobachtete das einfache Volk den
prunkvollen Aufzug der Soldaten, der Priester und ihrer Eingeweihten. Als ich
dann weiterfahren will, bemerke ich ungewoehnlich viel Spiel an meinem Freilauf
und rolle lieber noch mal runter in die Stadt, wo man mir einen geschlossenen
Radladen zeigt, denn es ist Sonntag. Schraeg gegenueber finde ich billig
Unterkunft in einem Hostal, was ausschliesslich von Israelis beherbergt wird.
Der weniger betuchte Wanderer kann auf solche Einrichtungen immer getrost
zurueckgreifen, ohne noch weiter herumsuchen zu muessen, da die Gaeste dort
ganz sicher die billigste Bleibe ausgemacht haben oder im Zweifelsfall den
geforderten Gruppenrabatt durchsetzten. Viele Herbergen haben auch einige
Informationen in hebraeisch an ihren Anschlaegen, es gibt sogar Reisefuehrer
von “Lonely Planet” in der Sprache, speziell fuer diesen verhaeltnismaessig
kleinen Anfragemarkt verfasst, wiederum mit einigen Extrabemerkungen, denn wenn
es moeglich ist, will man lieber unter sich bleiben. Es sind durchweg junge
Leute, meist tauchen sie in Gruppen auf, bringen auf ihrem Urlaub von sechs
Monaten ihre Ausscheidegeld der Armeezeit durch. Man bemerkt sie einfach, hoert
die meisten von ihnen in allen billigen Reiselaendern der Erde, ausgenommen der
islamischen Welt. Die Jungen muessen allesamt drei Jahre zum Waffendienst, die
Maedchen zwei, darueber kann man sich nur hinwegsetzen, wenn man sich zum
Rabbiner-Werdegang verpflichtet. Mit solchem Hintergrund sollte der
Aussenstehende gebuehrende Nachsicht ueben an manch auffaelligem Verhalten,
nach dieser langen Zeit aus Befehl und Gehorsam wurden sie, sagen wir
temporaer, sicherlich Opfer einer hoeheren Manipulation. Trotzdem konnte ich
aber unterwegs mit den wenigen Einzelreisenden eine annehmbare Konversation im
aussichtslos festem Rahmen seichter Gespraeche vollfuehren.
Der junge Schrauber von
Radladen hat bald mein Vertrauen gewonnen, nach etwa drei Stunden Fummelei und
wiederholtem Ein-und Ausbau von hauchduennen Unterlegscheiben, bin ich wieder
zufrieden. Ich arbeite mich die Hoehenzuege hinauf, besuche weitere Inkaanlagen
und endlich habe ich eine lange entspannende Abfahrt ins “Heilige Tal”, ins
Urubambatal, nach dem gleichnamigen Fluss. Das Klima hier auf 2100 Metern ist
gleich viel lauer und angenehmer als das der letzten Wochen im Hochland
zwischen 3000 und 4000 Metern. Da wachsen dann auch wieder allerlei Fruechte
und Gemuese, selbst das Vieh sieht zufriedener aus. Die Bauern koennen zwei bis
drei Ernten pro Jahr einholen, weshalb es fuer die Inka als die Kornkammer der
Hauptstadtregion galt.
Spaeter schlage ich dann
mein Zelt auf einem alten Friedhof auf, weil ich keinen ruhigeren Platz finde,
am naechsten Morgen fragen mich dann ein paar grinsende Bauern, ob ich denn
eine friedliche Nacht gehabt haette, was allerdings der Fall war. Bedingt durch
das einfache Leben und verwurzelte Glaubensvorstellungen, verfuegen die Leute
hier ueber eine bluehende Phantasie die gerufene Geister materialisieren
laesst. Die Hausdaecher im Tal ziert ein stilisiertes Kuhpaar als Symbol der
Fruchtbarkeit, oft genug steht dann dahinter noch das Kreuz der Spanier –
doppelt haelt besser! Bei ihnen ist es Brauch, beim Hausneubau, den Schaedel
des verstorbenen Familienoberhauptes wieder auszugraben um ihn ueber dem
Tuerbalken einzumauern, dass er das Haus vor boesen Einfluessen schuetzen
moege. Durch den Ort Ollantaytambo muss ich wieder uebers alte
Inka-Kopfsteinpflaster schieben, manche Indios leben hier immer noch in den
alten Adobehaeusern ihrer Vorfahren, diesen billigen und bewaehrten Baustoff
sieht man im ganzen Land als geformte Backsteine aus Lehm und Stroh gemischt in
der Sonne trocknen.
Eine holperige Piste
fuehrt mich noch bis zu einer Siedlung, wo ich beim netten Bahnwaerter Raul
schlafen kann. Im Finstern der fensterlosen Kammer tauschen wir uns dann
Geistergeschichten aus. So trat sein Onkel in einer mondbeschienenen Nacht
einmal einen laengeren Marsch von seiner Berghuette hinab ins Tal zum Haus
seiner Familie an. Es mochte etwa nach zwei Stunden gegen drei Uhr fruehs gewesen
sein, als ihm ein Maedchen mit Hund begegnete. Diese verstellte ihm den Weg,
sprang kichernd mal zur einen dann zur anderen Seite. Er empoerte sich und kam
schliesslich an ihr vorbei. Als er sich kurz darauf nochmal nach ihr umdrehte,
war sie so urploetzlich verschwunden, wie sie vorher auftauchte. In seiner nie
gekannten Furcht gelange er schliesslich noch bis nach Hause und musste sich
alsbald uebergeben. Man bettete den Verwirrten, der nur noch unverstaendlich
stammeln konnte. Haende fuchtelnd und von Fiebertraeumen geplagt, fand er zwei
Jahre keine Ruhe mehr, man musste ihn fuettern, er war fuer nichts mehr zu
gebrauchen, bis es ihm nach diesen Ewigkeiten langsam wieder besser wurde.
Die Gestalt des Teufels
bezeichnet man hier vertraulich “tio”, also Onkel - man nennt die Daemonen
nicht beim Namen, denn so wuerde man sie ja anrufen - der zeigt sich dem armen
Wanderer bergab bewegend mit gesenktem Kopf, dabei etwas ueber dem Boden
schwebend.
Der Weg hoert hier auf,
neben dem teuer zu betretenden Inkapfad, bleibt nur noch der Schienenweg nach
Machu Picchu. Die Rechte an der Bahn und der Ruinenstadt verkaufte der
ehemalige Praesident Fujimori fuer dreissig Jahre an Chile. Mit zweitausend
Touristen die sich taeglich hier einfinden, haben die Chilenen zweifelsohne ein
lukratives Geschaeft mit diesem Haendel gemacht, waehrend man sich in Peru
gruen und blau aergert.
Das Rad lasse ich bei
Raul zurueck und laufe anfangs etwa zwoelf Kilometer auf einem wenig bekannten
Inkapfad am rechten Ufer vorbei an ein paar Ruinenstaetten, bis der Weg
aufhoert und ich die verbleibenden zwanzig Kilometern auf den Schienen antrete.
Es ist beschwerlich so ueber das Schienebett zu stolpern, bald besorge ich mir
ein paar Stoecke und laufe im Fuchstritt auf auf dem Gleis.
Von Aguas Calientes
starte ich im Morgengrauen auf dem Zickzackweg hinauf zur vergessenen
Stadt. Der fruehe Aufbruch wird
empfohlen, um etwas von der erhabenen Atmosphaere einzuatmen, bevor die
Besuchermassen einfallen.
Ueber vierhundert Jahre
lag dieser Ort vom Dschungel begraben, bis ihn der Amerikaner Hiram Bingham
1911 “durch Zufall” entdeckte. Was
trieb den Mann in diese wilde unwegsame Gegend? Ich vermute eher, der Zufall
kam in Gestalt einiger freundlicher Indios entgegen, die ihn da hinauffuehrten,
denen der Ergeiz der Zivilisation fremd war, die Dingen wie Ruhm und
oeffentlicher Erfolg voellig gleichgueltig gegenueberstanden. Wie auch immer,
die Geschichte dazu ist aufgeschrieben, die Alten, die es besser wuessten, sind
laengst gestorben.
Herrscher Pachacuti
liess diese Siedlung um 1450 bauen, neben den Wohnstaetten, die siebenhundert
Menschen beherbergen konnten, errichtete man Terassenfelder fuer den Anbau von
Mais, Gerste, Bohnen und Suesskartoffeln, was auf diesem schwarzen Loessboden
in 2700 Metern Hoehe ausserordentlich gut gedeihen musste. Vom Steinbruch dort
loesste man die Bloecke zum Bau der Haeuser und Tempel, letztere immer
besonders fein gearbeitet sind. Neben Sonnen- und Mondtempel findet man hier
noch den Tempel des Condors. Wenn so ein Handwerker im Gedenken seiner Arbeit,
die zum grossen Werk beitraegt, einen Brocken tagelang mit Hammer und Meissel
bearbeitete, bis er sich zum ebenmaessigen Quader verwandelte, hauchte er ihm
mit dem Schweiss, den Schmerzen,
Freuden und Gedanken, die er darauf verwendete, etwas von seinem Geist ein. Die
Summe der Bloecke zum Tempel aufgebaut, ergibt dann fuerwahr einen spirituellen
Ort, in dem das Heilige angerufen, Gehoer finden kann.
Im Zentrum der Anlage
befindet sich Intihuatana, “der Ort, an dem man die Sonne festhaelt”, man hatte
schon damals erstaunliche astrologische Kenntnisse gesammelt, dieser Kraftstein
hier fungierte als Sonnenuhr, wichtiger noch war er zur Bestimmung der
Sonnenwende, die den Zeitpunkt fuer Aussaat und Ernte angab. Weil man den Ort
so hochanlegte, blieb er auch von Schlammlawinen verschont, die zur Regenzeit
haeufig die Doerfer im Tal begruben.
Ein steiler Pfad fuehrt
zu Wayna Picchu dem Nachbarberg, wo man nochmal die Aussicht geniessen kann,
bevor gegen Mittag die Touristengruppen mit Bussen herangekarrt und
herumgefuert werden, die hastig und manchmal frech draengeln, die Zeit im
Nacken die komplette Anlage ablichten und
ausser ihren Fotos nichts mitnehmen. Je mehr ich aber ueber Machu Picchu
nachdenke, desto unklarer wird mir, warum dieser von den Inka selber wenig
zelebrierte Ort in unserer Zeit so gefeiert wird. Es ist aber zumindest eine
reich sprudelnde Geldquelle auslaendischer Devisen, die an eine riesige
Werbemaschine gekoppelt ist.
Warum der nur kurz
bewohnte Ort alsbald den Kraeften der Natur ueberlassen wurde, bleibt
Spekulationen ueberlassen. So war es zum Beispiel ueblich, bei
Seuchenausbruechen die befallenen Siedlungen abzubrennen und sie fuer den
bestimmten Zeitraum einiger Jahre unbewohnt zu lassen. Spaeter konnte man dann
wiederkommen, neue Strohdaecher flechten, den Steinbauten selber konnte das
Feuer nicht viel anhaben. Das geschah aber nicht mit Machu Picchu, man kehrte
nie zurueck. Hatte man sich mit dem Verfall des Inkareiches bereits abgefunden?
Aufgrund astronomischer Beobachtungen erklaerte der letzte Inkaherrscher
Atahualpa das Reich bereits fuenf Jahre vor dem Eintreffen der Spanier fuer
verloren. Das zumindest widerspricht der Vorstellung von der Wiederkehr “Viracochas”, der das Ende
bringen sollte in Gestalt Franzisco Pizarros, einem ehemaligen Schweinehirten.
Als dieser 1532 an der
peruanischen Kueste landete, fand er das Reich bereits durch Masern und Pocken
geschwaecht vor. Der Nachfolgekrieg zwischen den Bruedern Huascar und Atahualpa
hatte die Bevoelkerung gespalten. Atahualpa besiegte seinen Bruder und fiel
spaeter Pizarro im Norden in Cajamarca in die Haende, versuchte sich durch eine
Huette voll Loesegeld freizukaufen, was man auf etwa 25 bis 45 Millionen Euro
schaetzte, aber kurz darauf richteten sie ihn trotz der Einloesung durch
Erdrosselung hin. Als Pizarro dann nach Cusco kam, stiess er bei der Einnahme
der Stadt kaum mehr auf Widerstand.
Ganz zerschlagen mache
ich mich am naechsten Morgen auf meinen langen Rueckweg. Irgendwann bin ich so
matt und fiebrig, dass ich mich in einer Ruine neben dem Weg erstmal ablegen
muss. Ein paar Stimmen wecken mich, ich tauche am Eingang so unerwartet auf,
dass sich die Indiofrauen, mit ihren Kindern draussen ein Paeuschen einlegend
entsetzen, mich glatt fuer einen Daemonen halten. Ich gebe mir alle Muehe zu
erklaeren, ich sei bloss ein mueder Tourist und spraeche ausserdem gar kein
Quechua wie die Geister ihrer Vorstellungen. Sie fassen sich zwar etwas, sehen
aber zu, dass sie weiterkommen, so ganz geheuer ist ihnen die Sache hier nicht,
dafuer bin ich etwas erfrischt und laufe belustigt weiter. In der Daemmerung
bin ich endlich zurueck nach drei Tagen und knapp neunzig gewanderten
Kilometern von denen der Schienenlauf am meisten zehrte. Ich krieche noch zu
einem Camp auf der anderen Flusseite, wohin mich Edwin einlud, der kocht was
und baut mir einen Schlafplatz, waehrend ich nur apathisch zuschaue.
Als naechstes schaue ich
mir eine Saline an, die seit zwei Jahrtausenden in Betrieb ist. Die Sole faengt
man in hunderten von Becken auf, und bringt das getrocknete Salz spaeter wie
seit jeher mit Eseln ins Tal, wo es heutzutage aber noch mit Jod versetzt wird.
Dann fahre ich nach Maras hinauf und laufe zu den drei Rundterassen von Moray,
welche die Inka als Laboratorium fuer Pflanzenexperimente anlegten. Jede Ebene
der sich aufbauenden Terassen soll ein eigenes Microklima aufweisen. Auch
diesen Orten sagt man Energiefelder nach, aber langsam sind meine Sinne
ueberreizt und die Aufmerksamkeit an dem enggesteckten Pflichtprogramm der
Sehenswuerdigkeiten laesst zusehend nach.
Auf dem Rueckweg maulen
mich dann noch Schulkinder auf ihrem Heimweg nach Sueskram und Kleingeld an,
sie bekommen natuerlich nichts von mir ausser ein paar gutgemeinten Fluechen,
darauf die groesseren aus sicherer Entfernung mit Steinen nach mir werfen. Der
eilige Tourist kann zu Hause mit schoenen Fotos prahlen, lachende Kindergruppen
im Bild, diese er mit Bonbonwaehrung bezahlte, um sein Gewissen zu beruhigen,
falls er der erste hier mit seiner Kamera war oder eben auf ihre bittlosen
Forderungen, die einem Handel gleichend, ihn nun zum Ablichten berechtigen –
ich hab’s so oft schon erlebt. Er versaut damit nicht nur den Nachwuchs in solchen
Regionen, er macht es auch den nachfolgenden Besuchern schwer, noch so etwas
wie einen urspruenglichen Eindruck der Menschen, abseits der Attraktionen
mitzunehmen. Auch das ist zu bedenken, wenn man vom “Sanften Tourismus”
spricht.
Zurueck im Ort suche ich
mir eine Bleibe und kann gegen Bezahlung in der Kueche des Pfarrhauses
schlafen. Mein Unterhaendler lockt mich dann noch fuer eine weitere Spende in
die kleine mittelalterliche Kirche die voller Fresken, Wandteppiche und
lebensgrosser Heiligenstatuen ist, wunderschoen sieht es aus, aber alles
braeuchte dringend eine Restauration. Dann fuehrt er mich noch hinter seiner
Chichafahne in den Glockenturm, wo erselbst mit den vier Stricken der Glocken
in den Haenden gekonnt den Rhythmus ablaeutet. Wie Quasimodo, von dem er wohl
noch nie hoerte, schlaeft auch er in der Kirche und zwar in einem gammeligen
Bett auf der Empore.
Das ist auch das
Auslaeuten des engesteckten touristischen Rundkurses fuer mich, auf steiniger
Piste gelange ich nach Anta zur geteerten Hauptstrasse. Diese zieht sich dann
erstmal im Spruehregen auf 4000 Meter hoch, bis sie danach fuer dreissig
Kilometer ins naechste Tal abfaellt, wo mir die Beissfliegen zusetzen.
In den naechsten zwei
Tagen windet sich die Strasse in Serpentinen wieder heraus, bis ich dann erneut
auf 4000 Metern die Stadt Abancay erblicke, die unter mir schon wieder auf 2400
Metern liegt.
In diesen Tagen
beobachte ich einmal ein paar Jungen welche die in Kehrtwenden nach oben
verlaufende Strasse vor mir kreuzen, bis sie dann aus sicherer Anhoehe Steine
nach mir werfen und sich vor meiner Wut verstecken. Als es dann endlich auf der
anderen Seite bergab geht, knallen mir grosse Erdbrocken vom obenliegenden Hang
gegen das Rad. Dort hat sich ein haemisch grinsender Bengel aufgebaut, die Arme
provozierend in die Seiten gestemmt. Natuerlich lasse ich mein Rad nicht
alleine zurueck und verfluche ihn nur aus Leibeskraeften. Ich kann sowas nicht
nachvollziehen, meine Guete, wir waren auch wilde Jungen, haben uns gepruegelt,
in Muelltonnen versteckt, Leute aufgezogen, aber solche boeswilligen Spiele
kamen uns doch nie in den Sinn. Ueberhaupt sind mir die Indios in diesem
Abschnitt wieder feindlich gesinnt. Nur in der Gruppe zusammen herumlungernd,
trauen sie mich anzupoebeln, an ihr “Gringo”-Gezische habe ich mich schon fast
gewoehnt, ihre Koeter verfolgen mich klaeffend und niemand findet sich, der sie
zurueckruft. Selbst die Frauen, die mir sonst immer mit mehr Waerme als die
Maenner entgegenkommen, antworten oft nicht einmal, trollen sich einfach ins
Haus zurueck. Ruehrt ihre Feindseligkeit vielleicht aus vergangenen
aengstlichen Jahren, als diese Gegend von der Terrorgruppe "Leuchtender
Pfad" beherrscht wurde?
Ich bekomme, bei dem
Versuch mir einen Reim auf ihr Verhalten zu machen, den Eindruck, man schere
sich hier ueberhaupt nicht um Erziehung und Aufklaerung, lasse alles wachsen
wie und wohin es will, ueberlasse alles der Natur, niemand bremst die
heranwachsenden Jungen in ihren Maennlichkeitsversuchen, sich in Kraeften, Mundwerk,
Lautstaerke zu beweisen. Ihr Lebensinhalt beschraenkt sich auf die primaeren
Beduerfnisse von Nahrung, Fortpflanzung und Schlaf, im eigenstaendigen Denken
ungeuebt uebernimmt man die allergroebsten Vorurteile ueber die Fremden, schert
sie saemtlich ueber den gleichen Kamm. Erziehung ist eine heikle Sache, aber
hier scheitert es schon am Versuch. Das klingt boese, aber bitte, woher kommt
dann ihr Hass, ihr Neid, den ich Alleinreisender zu spueren bekomme? Das ist
kein bischen fair! Nur wegen meiner Hautfarbe werden die Berge fuer mich nicht
flacher, schwitze ich hier nicht weniger. Mit meinem Geld wuerden sich die
Allermeisten mit Konsumguetern schmuecken, um sich vorzumachen, das Leben waere
von nun an einfacher oder auch in der Illusion, sich so in der Geltung
heraufzusetzen zu koennen. Oder man wuerde schlicht versuchen, das Geld zu
vermehren, ein Leidenschaft, die mancher bis zum Tod betreibt, um sich von
diesem so richtig erschrecken zu lassen. Niemand haette hier den Schneid,
seinen Horizont erweiternd, aus seiner kleinen Welt aufzubrechen, er entbehrte
der Beispiele dazu und ahnt es: Die Welt da draussen wuerde ihn erschlagen. Auf
der Vergangenheit, der Welt der Vorfahren, darf man sich nicht ausruhen. So
treten sie auf der Stelle, werden eingeholt vom heute und koennen nur mit Unmut
die andere Welt bedenken, die sich mit seinem Rad schnell davonmacht. Eine
Genugtuung bleibt fuer mich: Einem jeden steht es ins Gesicht geschrieben - man
darf sich nicht vormachen, das Leben hinterliesse keine Spuren auf dem
Antlitz.
In Abancay ruhe ich mich
ein paar Tage aus, dafuer beschaeftige ich mich mit meiner Ausruestung. Ich
beschliesse, die bergige und teilweise schlechte Strecke in den Kordillieren
auszulassen, statt dessen zur Kueste nach Nazca zu fahren. Aber weit gefehlt,
es wird noch lange nicht eben. Zweimal muss ich noch durch tief eingeschnittene
Taeler wieder hinauf auf 4500 Meter, die Strecke zieht sich, ist erschoepfend,
die Steigungen erscheinen oft endlos. Entweder man laed sich genug Wasser und
Essen auf, schleppt es die Berge herauf, um irgendwo in dieser spaerlich
besiedelten Gegend auf windigen Ebenen zu zelten oder man startet mit dem
ersten Sonnenstrahl und versucht gegen Abend noch die naechste Siedlung zu
erreichen. Das ist die bessere Idee, denn nachts wird es bitterkalt, erst am
spaeten Vormittag bringt die Hoehensonne das Eis zum Schmelzen und die Tiere
warten geduldig, bis sie wieder trinken koennen. Aber trotz der Anstrengungen
habe ich wieder eine gute Zeit und die paar Siedler in dieser Einoede freuen
sich ueber jede Abwechslung. Manchmal kann ich an kleinen Lagunen rastende
Flamingos betrachten, Lamas ziehen umher, spaeter treffe ich auf Herden von
Vicuñas, der kleinsten Lamaart, die wegen ihrer feinen Wolle so begehrt sind.
Mit drolligen Wieherlauten warnen sie ihresgleichen vor meinem Herannahen.
An einem schoenen
Sonntagmorgen betrachte ich dann von 3700 Metern Hoehe im blauen Dunst vor mir
den Pazifik. Was fuer ein Ausblick! Vor mir liegt eine fantastische Abfahrt
durch die Wueste. Langsam rolle ich hinab, passiere Waelder von Kakteen, die
mich wie mit erhobenen Armen gruessen, bin umgeben von Stille, kann mich wieder
erinnern. Ohne den Menschen steht die Zeit still, sie ist eine kleinliche
Erfindung von ihm, um sich die gedachte Lebensspanne besser einzuteilen, kommt
es mir in den Sinn, waehrend ich mich durch diesen unveraenderlichen Raum aus
Wueste bewege, aber alles Wesentliche dreht sich um das Unding Liebe, welche
nicht fassbar ist, wie das Goettliche selbst, alles was ihr entbehrt, ist eine
schleichende Krankheit und kann nur als entschuldigender Zeitvertreib
bezeichnet werden.
Gegen Nachmittag bin ich
dann in der heissen Ebene angelangt und krame die Sommersachen aus dem Gepaeck.
Im Vorbeifahren lese ich gerade noch ein Schild, was den Weg zu den ersten
Geoglyphen hier bei Nazca weisst. Dort ist dann auch niemand ausser mir, die
bekannteren Figuren sind weiter suedlich im Kuesteninland und nur von der Luft
aus zu besichtigen. Da zeichnen sich riesige Trapeze vor mir ab, andere Linien
kreuzen sich im geometrischen Zickzack verlieren sich in der Ferne. Ich bin
entzueckt, betrachte sie von umliegenden Huegeln, laufe hin und her, setze,
stelle, lege mich auf Schnittpunkte zusammenlaufender Linien, lache
kopfschuettelnd und ueberlege mir wie Millionen andere zuvor, warum sie
angelegt wurden. Ganz bestimmt haben sie ihre mystische und astrologische
Bedeutung, aber vielleicht hat es ihnen auch nicht an Vorwitz gemangelt,
vielleicht haben sie sich auch einen Riesenspass mit der Nachwelt erlaubt:
“Lasst uns mal wieder etwas Verwirrung stiften, damit unsere Brueder aus der
Zukunft nicht das Denken und Phantasieren verlernen, hinterlassen wir ihnen ein
kleines Chaos wie es ja auch am Anfang war, auf dass sie wieder nach einem Sinn
suchen, sich Goetter und Daemonen erschaffen, ihre Welt vergroessern, indem sie
ihre Gedanken mehren. Wir wollen auch nichts Schriftliches hinterlassen, das
waere gar zu einfach und man wuerde es nur aus einer Sichtweise betrachten.
Denn wir stellen fest, ohne dem Empfinden der Mystik, fehlt es den Menschen nur
allzuschnell an Inbrunst und Erfurcht, er schaut lieber nach aussen, laesst
sich ablenken und verliert sich dabei, als den inneren Blick durch Versenkung
zu schaerfen, um den ganzen zeitlosen Kosmos in sich zu spueren, von denen die
inneren Stimmen fluestern!”
Auch die bildenden
Kuenstler der Moderne praesentieren ihre Kompositionen den Betrachtern, von
denen jeder Interessierte eine andere Interpretation dazu entwickelt, mit dem
stillen Vergnuegen, sich an der Vielzahl der Sinngebungen ergoetzen zu koennen.
Spaeter sitze ich in
einem Café in Nazca, dessen Besitzer sich mir nach einer Weile als der
Praesident zur Erhaltung der Nazcalinien vorstellt. Lange erzaehlt er mir von
seiner Arbeit und gibt mir einiges Hintergrundwissen. Seit Beginn der
Linienfluege in den zwanziger Jahren, berichteten Passagiere und Piloten von
seltsamen Linien, die sich aus der Hoehe abzeichneten. Davon angezogen,
gelangte Maria Reiche, die deutsche Mathematikerin hierher, verbrachte ueber
vierzig Jahre damit, den Kodex der Linien zu entschluesseln. Anfangs wurde sie
von den Bewohnern Nazcas als Hexe verschrien, wie sie taeglich mit Besen und
Standleiter in der flirrenden Wuestenhitze ausharrte, die Linien Stueck fuer
Stueck auskehrte, ihre Beobachtungen anstellte, doch gewann sie immer mehr
Zuneigung, die bis zum Praesidenten reichte und setzte es schliesslich durch,
dass die Scharrzeichnungen als Weltkulturerbe anerkannt und somit unter Schutz
gestellt wurden. Ihre letzten Geburtstage glichen Volksfesten, die auch nach
ihrem Ableben 1998 im Alter von 95 Jahren weiterhin in Nazca gefeiert werden.
Immer mehr vom Geist erfuellt, ueberlebte sie nach eigenen Angaben “wie in
einer Kapsel geborgen”, einen schweren Autounfall ohne jeden Kratzer, als sie
ein anderes Mal einem LKW hinterher lief, der auf den Scharrzeichnungen
herumfuhr, verlor sie dabei ihre Sandalen, jedoch ohne sich in der Mittagsglut
die Fuesse zu verbrennen oder sich an den Steinen zu verletzen, so erzaehlte es
mir Percy, der ein Freund von ihr war, warum sollte er sich solche Geschichten
ausdenken?
Sie gelangte zu der
Ansicht, bei den Zeichnungen handle es sich um das groesste Astronomiebuch der
Welt. So weisen einige Endlinien exakt zum Stand der Winter- und Sommersonnewende.
Andere Figuren wuerden Sternenkonstellationen wiedergeben.
Am naechsten Morgen
nimmt er sich nochmal Zeit fuer mich und wir besuchen mit dem Taxi eine aus den
Bergen kommende unterirdische Wasserleitung, die sauber mit Steinen
ausgekleidet ist. Alle paarhundert Meter legte man trichterfoermige Oeffnungen
an, um die Tunnel sauberhalten zu koennen. Dort bedankt sich mein freundlicher
Fuehrer bei “Pachamama” und wir trinken einen Becher des glasklaren Wassers auf
ihr Wohl. Man schickte Leute in die Tunnel, um ihren Anfang zu ergruenden, nach
vierzehn Kilometern gab man auf, weil ihnen die Luft ausging. Die Bluetezeit
der Nazca datiert man zwischen 370 vor Christus bis 450 nach ihm, aber diese
Tunnelsysteme, “puquios” genannt, sind weit aelter, verlieren sich in der
Namenlosigkeit. Dann fahren wir zu anderen Linien und Spiralen, seiner Meinung
nach handele es sich um rituelle Wettkampfstaetten, nur dem Sieger war es
bestimmt, die laengste sich nach den Bergen auszeichnende Linie zu betreten,
die auf sogenannte “huacas”, heilige Orte hinweisen wuerde, wo sich geistige
Energien konzentrierten.
Andere Stimmen
behaupten, dies seien Orientierungslinien fuer den Schamanen auf seinen
imaginaeren Flug mit Hilfe halluzinogener Stoffe des Stechapfels und des San-Pedro-Potosi-Kaktusses,
um Verbindungen zur Geisterwelt aufzunehmen. Diese Vermutung belaeuft sich auf
“Ballonfahrer”, die auf fanatstischen Toepferarbeiten dieser Epoche abgebildet
sind.
Ein Erich van Daeniken
ist der Ueberzeugung, dies seien Landebahnen fuer Ufos gewesen. Mich stossen
solche Ideen von Ausserirdischen eher ab, einfach aus dem Grunde, dass der
Mensch schon mehr ueber das Weltall weiss, als was in den Tiefen der Ozeane passiert,
das ist schlicht paradox – man schaut ins Weite auf der Suche nach Antworten
und vergisst das Naheliegende! Ich hoffe, man wird nie intelligentes Leben auf
anderen jahrzehnte- oder jahrhunderteweiten Planeten entdecken, ich will nicht
dahin, wie auch, in einer Kuehlbox? Vielleicht haben es die Ufopiloten ja
geschafft, die Zeit wegzudenken und kommen aus einer anderen Ebene? Es bleibt
dabei: Man brauch den Dingen nicht hinterherrennen, sondern das Wichtige und
Ersehnte kommt schliesslich zu einem selbst. In der Zwischenzeit soll man sich
gefaelligst mit dieser Welt, ja mit sich selbst auseinandersetzen, da findet
sich genug Potenzial, als beispielsweise aus eitlem Forscherdrang ernsthafte
Ueberlegungen an einer Marsbesiedelung zu erwaegen.
Man vermutet, dass der
Untergang dieser Hochkultur mit dem Eintreffen von Naturkatastrophen wie
Erdbeben, Duerreperioden, Springfluten und El Niño besiegelt wurde, vielleicht
sind sie aber auch von dieser Welt verschwunden, weil sie die Grenzen menschlichen
Wissens uebertraten, dessen Moeglichkeit schon von Carlos Castañeda und Gabríel
Garcia Marquez angedeutet wurde.
Die bekannten Figuren
von Kondor, Affe, Kolibri, Hund, Wal und dem “Eulenmann”, koennten auch als
Darbietungen, fuer Gott Sonne verstanden werden, auf dass er immer gnaedig
bedenke, wie sehr alle seine Kreaturen des Wassers beduerfen, gerade in dieser
Trockenheit hier.
Diese schaue ich mir nun
nicht mehr vom Flugzeug aus an, halte nur noch beim Aussichtsturm an der
Panamerikana, auf der ich ab jetzt immer wieder fahren werde.
Viel zu spaet passiere
ich einen verdreckten Wuestenstreifen, die Strasse ist von halbverwehten
Kreuzen gesaeumt, bis ich endlich nach fuenfzig Kilometern in der Dunkelheit
ein unbewegliches Licht am Horizont ausmache. Das gehoert zum Haeuschen des
Waertes eines Sendemastes, dessen Arbeit es ist, zweimal am Tag Benzin in den
immerzu laufenden Generator zu schuetten, das macht er jetzt schon drei Jahre
lang.
Zu solcherlei Arbeiten
fuehlen sich die Leute hier gerne berufen, hinter den begehrten Fahrerjobs
kommen gleich die Waertertaetigkeiten, da erhaelt man eine Uniform und manchmal
sogar einen Waffe dazu, laeuft seine Wege ein paarmal auf und ab und ausgeruht
geht man irgendwann nach Hause. Solange, wie sie dabei neidlos zufrieden
bleiben, seien ihnen diese Beschaeftigungen herzlich gegoennt. Zu einer Facharbeiter-Ausbildung
gelangen hier die allerwenigsten, denn diese muss man bezahlen und dafuer ist
kein Geld im Haushalt da.
In der Stadt Ica besuche
ich auf Empfehlung das Regionalmuseum, was eine feine Auswahl an
Toepferartefakten und Textilien aufweist, ja selbst Kleider aus Federn wussten
die Ahnen zu fertigen, durch das trocken-heisse Klima ueberstanden diese
Grabbeilagen oft die Jahrtausende im Wuestensand. Vor den Nazca
dominierten ueber 3000 Jahre die Paracas auf ihrer Halbinsel und den
Kuestenstreifen. Mit ihnen
verbindet man auch die Schaedeldeformationen durch Bandagen an Stirn und
Hinterkopf, die man vom Saeuglingsalter bis in die Jugend anlegte und so diese
ovale, ja spitzkoepfige Schaedelform ergaben. Bekannt waren sie ebenfalls fuer
ihre Schaedeloperationen. Die ersten Trepanationen datiert man auf 400 vor
Christus, diese begruendeten sich medizinisch auf schwere Faelle chronischer
Kopfschmerzen und Epilepsie oder waren religioesen Ursprungs, um Geister
auszutreiben. Entweder saegte man Stuecke aus der Schaedeldecke oder man
schabte den Schaedelknochen ab, die Frage nach einem womoeglich fehlenden
Narkotikum bereitet mir wahnsinnige Kopfschmerzen. Erstaunlicherweise genasen
mehr als die Haelfte vollstaendig von solchen Eingriffen.
Die Strasse windet sich
in lang gezogenen Kurven durch monotone Duenelandschaft und nach Plan fahre ich
dann am naechsten Sonntagmorgen durch Lima. Ich versprach mir davon etwas gemaessigten
Verkehr, aber den gibt es nicht in dieser 16-Millionen-Metropole. Nach fuenfzig
Kilometern ueber zerloecherten Asphalt, sich dabei immer schoen rechts haltend,
wo der meiste Glasmuell rumliegt und mich die Microbusse staendig schneiden und
ausbremsen bin ich dann durch diese oberhaesslichen Aussenbezirke. Jetzt muss
ich noch einen 1100 Meter hohen Kuestenzug ueberfahren, dahinter ist dann alles
wieder ziemlich entspannt. Die Landschaft bleibt eintoenig, die Wueste ist mit
Automuell gesprenkelt, die Sonne bleibt fuer Wochen im Dunst verborgen. Oft
stehen lange Baracken im Sand in der Naehe des Strandes, das sind
Gefluegelfarmen, wo die Huehner mit proteinhaltigem Fischmehl gemaesstet
werden. Diese zu produzieren, ist hier an der Kueste immer noch billiger als
der Fischfang.
Bei Casma besuche ich
noch die Tempelstaette von Sechin. Dort ist in Steinmonolite eine grausame
Schlacht geritzt, die 1500 vor Christus stattgefunden hat.
Vor Trujillo treffe ich
zwei Rennradfahrer, die ich halbherzig nach der Adresse einer Radherberge
frage, von der mir Joachim einmal erzaehlte. Erst fahre ich aber noch zu den
von den Spaniern auf Schatzsuche halb abgetragenen Pyramiden von Sonne und Mond
aus der Moche-Kultur, am spaeten Nachmittag bin ich dann beim Radhaus angelangt,
ganz herzlich empfaengt mich Araceli mit ihrer Tochter Angela und mehrere
Radreisende aus Kolumbien, Australien, Frankreich und Deutschland. Laut ihrer
Statistik kamen schon sechshundert Rader hier vorbei, denn das ist die einzigst
passable Verbindungsroute, die sich in Suedamerikas Norden ergibt. Die Idee zu
dieser Radfahrerherberge stammt von Lucho dem Ehemann, selbst passionierter
Rennradler, der spaeter am Abend kommt. Er besuchte sogar schon die "Tour
de France" und traf sich dort mit einigen Radlegenden.
Man zahlt nichts fuer
die Unterkunft, unter dem Motto "Mi casa es tu casa!", schlaeft jeder
auf seiner Campingmatte, man kocht
gemeinsam, betrank sich und tanzte bis in den fruehen Morgen. Soviel Spass hatte
ich lange schon nicht mehr! Nebenbei konnte man unter fachlicher Anleitung
Luchos die Raeder ueberholen.
Einzelfahrer begleitet
er sogar oft genug noch aus der Stadt, denn die ist recht gefaehrlich und
abends wird es kriminell. Der Nachtwaechter schlendert mit Trillerpfeife seine
Strasse auf und ab, gibt alle paar Meter einen ihm eigenen Pfiff ab, um die
Gauner auf sein Kommen vorzubereiten, dass sie sich doch bitte solange
verstecken moegen. Die Frachttueren der Lastzuege sind allesamt bedrohlich mit
Dornengestruepp verbaut, um Dieben das Oeffnen dieser bei Zwischenstops zu
erschweren. Gleich am Ankunftstag sehe ich, wie eine Bande Halbwuechsiger an
einer Strassenecke ein junges Paar ausraubt, den Mann zusammenschlaegt, was
seine Freundin verzweifeln laesst, waehrend einen einzigen kleinen Meter davon
entfernt mehrere Maenner in den besten Jahren an einer Wand lehnen und keinen
Finger ruehren. Alles dauert nur ein paar Sekunden und schon ist der feige
Trupp zwischen den Autos verschwunden. Weil ich immer meinen Senf dazugeben
muss, empoere ich mich natuerlich bei den Alten, die nichts anderes
entgegenzubringen haben, als dass die Jungens sonst Messer gezogen haetten und
auf sie losgegangen waeren.. Das werte ich als haltlose Ausrede. Man darf
solche Halbstarken nicht gewaehren lassen, sonst werden daraus noch
Schwerverbrecher, Mord - und Totschlaeger, Lebensunlustige, man muss fuer seine
Ueberzeugungen einstehen, sonst ergeben sie keinen Sinn! Mit Joachim der auch gerade eintraf, fuehre ich eine
Diskussion darueber, er meint, dies geschehe in den Grosstaedten zu hause
genauso und alle wuerden nur zuschauen, waehrend ich mir einbilde, zumindest in
der Hauptstadt liessen sich die Passanten solche Szenen in aller
Oeffentlichkeit nicht einfach gefallen.
In der Stadt liefern
sich viele Frauen einen heissen Kampf um die leckersten Torten, die sie dann ab
spaetem Nachmittag in einer Glasvitrine durch die halb geoeffnete Haustuer
verkaufen. Auch in dieser Kunst ist Araceli bewiesenermassen mit die Beste.
Paola und Igel, eines der Radpaerchen richtet dem Haus als Dankeschoen auch
eine Webseite in unserer Zeit dort ein:
www.geocities.com/casadeciclistasperutrujillo
Wir besichtigen die
Ruinen von "Chan-Chan", der "Stadt der Staedte” – der Hauptstadt
des Chimú-Reiches, was sich tausend Kilometer entlang der Kueste erstreckte.
Die Adobemauern der Stadt umfassten 28 Quadratkilometer, beherbergten 50000
Menschen. Sie vollbrachten groesste Leistungen mit ihren Bewaesserungssystemen
welche das kostbare Nass aus den Bergen in diese trockene Gegend transportierte,
mit dem Erfolg von zwei bis drei Maisernten pro Jahr. Es gibt viele
verschiedene Arten von Mais, dem traditionellen Hauptnahrungsmittel der Voelker
hier. Selbst als Medizin gegen Darm- und Harnwegserkrankungen verwendet man
ihn. Fragt man mich, ob man Mais auch in meiner Heimat anbaut, muss ich
beschaemt berichten, dass man ihn dort fast ausschliesslich als Futtermittel
verwendet, diese Mais - Perlen vor die Saeue wirft, waehrend die Indios hier
sogar eine Maisgottheit verehren. Auch waren sie ausgezeichnete Goldschmiede,
doch ein Grossteil ihrer Arbeiten ging verloren, als die Spanier ihr Gold
einschmolzen. Der Inkaherrscher Topa Yupanqui belagerte elf Jahre lang die
Stadt, kappte die Wasserleitungen, bis die Chimú 1471 aufgeben mussten, ihre
grossen Fertigkeiten von nun an unter die Gunst des neuen Herrschers stellten.
Fuer die vom
Entdeckerdrang geplagte Forschernatur findet sich gerade im Norden Perus ein
Paradies im Sand begrabener Altertuemer. Viele Staetten sind halb oder gar
nicht erkundet, es fehlt dem Staat einfach das Geld dazu.
Da Johannes, ein
Panamerikana-Radfahrer, dem wir im Radhaus trafen, noerdlich von hier
ueberfallen wurde, er gluecklicherweise nur seinen Helm einbuesste,
beschliessen Joachim und ich, ihm entgegenzufahren und fuer ein paar Tage als
Gruppe aufzutreten. Endlich weg vom Schwerverkehr der Panamericana besuchen wir
die Pyramidenstdt Tucumé. Wir treffen auf
Larry, einen Antropologen aus Berlin auf Radurlaub, der uns erzaehlt,
vor nur zwanzig Jahren seien die Pyramiden noch sechs Meter hoeher gewesen, so
gierig nagten der Wind und El Niño daran. Der aufmerksame Leser sollte sich nun
die Frage stellen, ob die Pyramiden denn wirklich hunderte von Metern hoch
waren, oder etwa doch das sich veraendernde Weltklima die Ursache am rapiden
Verfall ist.
Hier laufen auch wieder
Vertreter diesere alten, seltsamen Hunderasse herum, ganz ohne Fell sind sie,
so koennen sich eben auch keine Floehe im nicht vorhandenen Fell festbeissen,
ansonsten sind sie genauso kosebeduerftig wie andere Haushunde, aber eher
klopft man sie herzend, als sie zu streicheln, man wuerde sich nur wunde Haende
holen.
Endlich werde ich auch
mal von ein paar Muettern, die ihre Kinder auf Schulausflug begleiten, auf
gegrilltes Meerschweinchen eingeladen.Vor allen in den Bergdoerfern Perus
rennen sie zu hauf quietschvergnuegt in den Kuechen herum. Die kleinen Schweine
sehen nun nicht nur niedlich aus, sondern schmecken auch gut.
Bald haben wir die
Grenze nach Equador erreicht, Johannes hat es eilig und trennt sich wie
ausgemacht sofort. Wir haben uns fuer die Bergroute entschieden, da die
Erfahrung zeigt, die Leute dort sind friedlicher, ausgeglichener als die
Kuestenbewohner. Aber es ist wieder schwere Arbeit. Wenn man im niedrigsten
Gang die Berge hinauf tritt, und am naechsten Tag die Kniegelenke schmerzen,
dann sind die Steigungen einfach zu steil. Es geht staendig hoch und runter,
kein bischen eben wird die Strecke, das wird nun so bis Bogotá bleiben. Der
Blick auf die Karte erklaert: Hier laufen die Kordillieren zusammen. Die
Abfahrten sind ebenso ungeniesbar, da man sich leicht die Felgen beim
Dauerbremsen ueberhitzen kann und dabei die Schlaeuche zum Schmelzen bringt.
Die Tage sehen so aus, dass man morgens meist erst mal in ein Tal hinabrollt,
dann kurbelt man so tausend Hoehenmeter hinauf, um auf der anderen Seite wieder
herabzubremsen, am Nachmittag geht man dann die naechste sich aufbauende
1000-Meter-Wand an und bemueht sich wieder bis zum Dunkelwerden. Interessant
ist, wie man seine gedachte Schmerzgrenze jedesmal neu abstecken kann.
Zusammenfassend ist dieses Andenstueck seit Peru das zehrendste der ganzen
Reise, klar war Tibet auch anstrengend, aber dank der Einheitsbauweise der
Chinesen sind die Strassensteigungen fuer die nur schwach motorisierten LKW im
Land der aufgehenden Sonne auf sieben Prozent eingeeicht, so erklaerte es mir
Joachim, der dort acht Monate zubrachte, hier dagegen sind es haeufig ueber
zehn Prozent.
Die Distanzen gibt man
wie fast ueberall in Lateinamerika immer grosszuegig im Zeitmass an. Dabei
redet man in Auto- oder Busgeschwindigkeit, das nuetzt mir recht wenig, vor
allem wenn es durch die Berge geht, von der laengenmaessigen Entfernung hat man
wenig Ahnung, aber bevor man sich die Bloesse gibt - die Maenner bringen es
einfach nicht fertig, zu sagen, sie
wuessten es nicht oder auch, sie koennten es nicht - erfindet man lieber
irgendeine fantastische Zahl in der Hoffnung, der seltsame Radfahrer laesst
einen jetzt in Ruhe, was ich eingestehend dann auch oft grusslos,
kopfschuettelnd und abwinkend mache. Es gibt viele Indiogruppen hier, Maenner
wie Frauen tragen lange schwarze Haare und schoene Trachten. Ich wuerde ja
gerne ein Bild davon machen, aber oft betrachten sie mich argwoehnisch und
stumm, waehrend ich mich die Steigungen heraufquaele. Ich habe mir angewoehnt,
dann lieber gar nicht zu gruessen, ausserdem muss ich einfach auch nicht dem
ganzen Dorf zunicken. Statt dessen suche ich mir dann und wann ein mich
unverwandt anstarrendes Augenpaar aus, schaue dieses fest an, bis es dem
Besitzer zu ungemuetlich wird und er mich im letzten Moment aus dem
menschlichen Gefuehl der Hoeflichkeit doch noch annickt, waehrend ich mich dann
aber nur kalt abwende, auch das gestehe ich. Der Leser mag es kaum glauben,
aber oft genug muss man sich auf solche dummen Spiele einlassen, um nicht zum
Zirkusobjekt zu degradieren. Eine
andere Art, solcherart Blicke
abzuwenden, ist, sich selbst einen durchsichtigen Blick anzueigenen, geradewegs
durch die suchenden, herausfordernden Gesichter hindurchzuschauen, wie ich es
damals in Afrika lernte. Manchmal rufe ich den Typen zu, ob sie sich denn
gerade in mich verliebt haetten, um den Spiess mal umzudrehen. Dies sind nur
Massnahmen gegen ein allzufreches Gegaffe, die mir selber keinerlei Freude
bereiten, gluecklicherweise weiss der groessere Teil intuitiv von solcherlei
Verhaltensregeln, der andere Teil versucht sich dagegen einfach nur wieder im
Kreise seiner Gemeinschaft zu produzieren, weiter ist es nichts und wenn sie
unbedingt spielen wollen, dann mache ich eben mit. Nickt oder ruft man mir
dagegen auch mal freundlich entgegen, gruesse ich sofort eifrig zurueck.
Uebrigens waren diese Machospiele den Indios urspruenglich gar nicht eigen, sondern sind ein weiteres Mitbringsel der Konquistadoren.
Mittlerweile hat man
sich mal wieder getrennt, hinter Riobamba nehmen wir drei im zeitlichen Abstand
eine alte Strasse zum Thermalquellenort Baños. Ich wundere mich ueber
Geisterdoerfer und deren recht gut erhaltene Anwesen, nicht einmal ein Hund
schlaegt an. Die Strasse ist mit Vulkanasche bestreut, an immer mehr Stellen
ist sie einfach weggebrochen, ausgeloesst durch Wassermassen und Steinlawinen,
kleine Holzbruecken verbinden sie wieder. Geroellberge zwingen zu schlecht
einsichtigen Umwegen. Aber das Fehlen von Autos macht mich wie immer sofort
viel froehlicher. Gegen Abend komme ich dann zu einem Dorf, wo man mich
darueber aufklaert, wie der gerade von Wolken verhangene Vulkan Tungurahua hier
im Jahre 2000 ausbrach und viele Siedler fuer immer verjagte.
Es ist Sonntag, man
trifft sich auf dem Dorfplatz zum Fussballspielen, die Aelteren sitzen am Rand
und unterhalten sich, waehrend die Kleinen unbeaufsichtigt im Dreck
herumrobben. Ich bin immer wieder verwundert, wie sehr der Verkehr, die Leute
veraendert, ja verroht, hier dagegen ist Friede, es gibt keine frechen,
vorlauten Menschen, alles lebt neidlos im Einklang mit Nachbarn und Vieh.
Morgens helfe ich,
Maissaecke aufzuladen, warte den Regen ab und rolle weiter. Tiefe, sattgruene
Taeler zeigen sich, aber nach oben hin ist alles bedeckt, nur wenige Male sehe
ich im Abendlicht ein paar Vulkane fuer die Equador beruehmt ist. So faellt
auch jede Wanderung ins Wasser, das sich mittlerweile taeglich ergiesst.
Dann bin ich zurueck auf
der Hauptstrasse und der Autowahnsinn hier im Land holt mich wieder ein. Gerade
sind die Feiertage um Allerheiligen, die eine endlose Blechkarawane nach Baños
bringen. Ruecksichtslos rast man knapp an mir vorbei, ueberholt ganz
selbstverstaendlich auf doppelt geschlossener Fahrbahnmarkierung und draengt
mich hupend von der Strasse, ich bin auch muede, immer davon zu berichten, doch
ist es oft genug mein Alltag. Die Gallone Benzin, also 3, 78 Liter kostet
soviel, wie ein Liter in Deutschland. Man beutet die Oelreserven im Dschungel aus,
seit ein paar Jahren hat sich der Dollar als einzige Waehrung durchgesetzt.
Neben Chile ist es das teuerste Land fuer mich in Suedamerika. Es ist peinlich,
wie oft neue Autos vor halb zerfallenen Haeusern parken. Freiheit durch das
eigene Auto ist pure Suggestion, alleine die verursachenden Eigenkosten
bedenkend, macht es alles andere als frei. Am Fehlen des Randstreifens erkennt
der Radfahrer am ehesten die jeweilige Autolobby der Laender. Die
Ueberlandbusse werden dagegen nur wenig genutzt, was den jeweiligen Fahrer in
seiner schwergewichtigen Position aber nicht davon abhaelt, wie ein Bekloppter
zu rasen.
Ganz ziellos und
kurzsichtig ist diese Politik im Lande, die sie laengst zum Stiefkind der
amerikanischen Wirtschaft machte.
Aber man beschwichtigt
in der ganzen Welt, meint, alles wuerde sich wieder einrenken, aber hat doch
selbst kein Einsehen. Ja wer soll es denn in die Hand nehmen, wenn nicht wir?
Man denkt bloss an sein eigenes Ego, denkt nur fuer die naechsten zwanzig,
dreissig Jahre voraus, die Alten entschuldigen sich irgendwann bei den Jungen,
die es deshalb nicht besser wissen, als sich spaeter ebenso vor ihrem Nachwuchs
versuchen, zu rechtfertigen, man konnte gegen die aeusseren Umstaende ja nichts
unternehmen, das stimmt sogar - fast! Was fuer ein Erbe - so kurzsichtig war
noch keine Gesellschaft!
Ideale werden verpoehnt,
Charakter wuerde nichts zaehlen - "money talks", die Oberen im
Rampenlicht, die eine Vorbildfunktion innehaetten, luegen und betruegen unter
einem Mantel von Hoeflichkeitsfloskeln, welche man dann als Diplomatie
bezeichnet, die aber nichts weiter als ein Missbrauch der Sprachmittel ist.
Doch das groesste
Begraebnis der Geschichte zeigte in diesen Tagen, wie sehr es den heutigen
Menschen in ihrer inneren Zerissenheit und Orientierungslosigkeit nach Wahrheit
duerstet, nach einer geistigen
Fuehrung, der man schlicht vertrauen kann, nach einem Weg zu lieben, nach einer
guten Hoffnung.
- Was heisst hier
"American Way Of Life"? – Dieser Spruch entbehrt der Definition. Warum
wird immer noch suggeriert, die dortige Lebensweise waere zukunftsweisend? Das
ist schlicht eine grobe, vorsaetzliche Luege! Schaut Euch doch um in der
grossen Welt, die Allerwenigsten leben in diesem langweiligen Ueberdruss, aber
dort wird man so beeinflusst, als wuesste man es besser und zaehlte mehr! Dabei
pervertiert diese selbstredende “Erste-Welt-Gesellschaft” an endlosen
Beispielen. Wer wirklich gerne, also auch lange leben moechte, der sollte sich
beispielsweise den Lebenstil der Bewohner von Kreta aneignen, laut einer
weltweit betriebenen Studie ueber fuenzig Jahre, wuerden dort statistisch
gesehen die meisten Menschen ueber hundert Jahre. Die Insulaner fuehren aber
ein eher bescheidenes Leben, einfach, baeuerlich, ohne Exzesse. Die alten
Griechen haben es eben schon immer gewusst!
- "Kauft Leute, kauft, es ist
Ausverkauf, die Welt wird ausgeraeumt, nach uns die Sinnflut, was gehen mich
meine Kinder an!" - Man denkt sich
klug auf seinem Fachgebiet, aber hat es nie gelernt, in komplexen Systemen zu
ueberlegen, geschweige denn zu handeln, uebergeht einfach, wie alles ineinander
verflochten ist. Warum ist der Neumensch nur so bemueht, sich selbst zu
beluegen und seine Welt immerzu kleiner zu machen, dass sie meist schon an
seiner Wohnungstuer endet, wie kann er sich nur so zwischen Arbeit und Freizeit
spalten? Das uebersaettigte Herz verschliesst sich vor der bedrueckenden Armut,
etwa 30000 Menschen sterben taeglich an den Folgen von Mangelernaehrung,
chemische Bestandteile aus Duengemitteln haben seit mehreren Jahrzehnten die
Nahrungskette erfasst, selbst in den klarsten Gebirgsbaechen und ungebohrenem
Leben finden sich Schadstoffe, jede dritte Frau erkrankt mittlerweile an Krebs
– und stirbt in den armen Laendern daran, weil man sich die kostspielige
Operation und die anschliessende Therapie nicht leisten kann. Das sind
Nachrichten, die taeglich ueber die Bildschirme laufen sollten, damit sie sich
ins Herz einbrennen, es erweichen! In den 70er Jahren wurde von den Vereinten
Nationen ein Plan zur Welthungerbekaempfung aufgestellt, aber man setzte ihn
nicht in die Praxis um, weil bei den Machern des Systems keinerlei Interesse besteht, die Kluft zwischen arm
und reich zu ueberwinden. Die Macht der Medien behauptet sich immer noch
erfolgreich gegen die Aufklaerung. Man meint, man waere Herr seiner selbst,
aber seine Umgebung normte einen Stueck fuer Stueck, man verhaelt sich lieber
unauffaellig massenhaft, jeder
Unverstandene wird mit dem grobgerasteren Wort "verrueckt" abgetan,
auf dass man in der Masse lachen kann, manchmal im Geheimen kommen leise Zweifel,
doch von solchen belastenden Gedanken wird man schnell muede - die
Konzentration wurde nie darauf geschult und man macht so weiter, betaeubt sich
funktionierend als "Haben-Mensch", ist nicht frei als
"Sein-Mensch", so beschreibt es passend Erich Fromm in seinem Buch
"Haben oder Sein", das durch seine Klarheit in die Pflichtlektuere
der Schulen aufgenommen werden muesste, spraeche man mit Recht von einem freien
Bildungssystem.
Dieses Desinteresse an
einem draengenden und somit immer radikaleren Umdenken auf ganzer Linie ist
auch nichts weiter als die Folge einer lebenslangen Indoktrination, unter
diesem Aspekt finde ich wenig Unterschiede zwischen der Ideologie des
Kommunismus und der des Kapitalismus. Man darf es nicht laenger erlauben, sich
so irrefuehrend manipulieren zu lassen! Wie lange lassen wir uns noch
bevormunden? Wir man etwa gefragt, ob man dabei mitspielen will, foerdert man
Alternativen? Dies Welt ist augenblicklich zu einseitig - belastet und beladen,
so wird sie nur umkippen. Was bringt dem kleinen Buerger das staendige Gerede
ueber Wirtschaftswachstum, der wird doch gar nicht gefragt, das macht die
finanzielle Elite unter sich aus und lacht sich ins Faeustchen in ihrer
Wahnvorstellung, es besser zu wissen! " Geht's noch ein bischen mit der
Wirtschaft, waechst sie noch ein Stueckchen, laesst sich noch mehr herausholen,
ausbeuten?" - Die Welt in den Haenden der grossen Konzerne! Taeglich wird
einem das Wort “Wirtschaft” in den Sinn gerufen, wird aufgeblasen, wird einem
eingetrichtert, als gaebe es eine neue Gottheit zu kreieren.
Da heisst es: “Wenn man
viel arbeitet, koennte man es noch zu etwas bringen!”, nur sind wir in der
Mehrzahl lange nicht so verblendet, das Leben nur aus der Arbeitsproduktivitaet
zu betrachten. Aber in diesem System wird man unwillkuerlich als faul
abgestempelt, wenn man dabei nicht mitmachen will. Die meisten wollen doch einfach nur ein beschauliches Leben
fuehren, worauf jeder sein Recht hat,
wollen auch noch zum anregendenden Nachdenken ueber Sinn und Zweck des eigenen
Dasein kommen. Arbeit als Lebensmittelpunkt verraet geistige Verarmung und eine
blosses Funktionieren in dieser Konsumgesellschaft! Leben um zu
arbeiten? Warum sollte man
seiner Nachwelt denn viel Geld hinterlassen, nicht mal unseren Kindern waere damit
geholfen, sie wuerden nur verweichlichen und hochmuetig werden und so des
Lebens bittere Suesse nie schmecken lernen. Da besichtigte ich schon viele
Staetten vergangener Kulturen, meint
denn der Vertreter des Kapitalismus allen Ernstes, seine Ellenbogengesellschaft
waere von Bestand, ja haette irgendeinen Anspruch auf Erhaltung der Arten, der
Natur, haette einen Anspruch auf Menschlichkeit, auf Fortbestand? Diese Frage
in seiner Dringlichkeit beantwortet sich selbst. Was schlussfolgert sich
daraus? Selbst der Erste Weltkrieg wurde aus dem Gefuehl eines unabwendbaren
Umbruchs begonnen, da er verloren wurde, machte man so weiter, wie zuvor, ja
liess es zu, dass diese Gesellschaftsform laengst zum Imperialismus mutierte. Hat man denn kein Einsehen, nach diesem
gerade ueberstandenem blutgetraenktem Jahrhundert?
Dieser ganze Wahnsinn geht in
erster Linie von der maennlichen Menschenart aus. Das Weib dagegen hat meist
keinen groesseren Wunsch, als sich in der Liebe zu finden, ihr zu dienen, mit
seinem Wunschpartner zusammen zu leben, als Mutter fuer ihre Kinder zu sein.
Irgendwann erreiche ich dann
Quito, erfolglos suche ich nach Radlaeden, die nicht mehr existieren, weil sie
als Folge der Dollarisation innerhalb eines einzigen Jahres schliessen mussten.
Ziemlich sauber ist
diese Stadt, die Einfuehrung eines modernen Busleitsystems hat den Verkehr um
Einiges entlastet. Hinter Quito auf dem Weg nach Kolumbien beruhigt sich der
Verkehr schnell, auch die Leute kennen hier weniger Tourismus und verhalten
sich auch gleich natuerlicher und somit freundlicher. Am Aequatorstein fahre
ich mal wieder vorbei, so schlecht ist er markiert, was ganz typisch fuer das
Land ist. Denn trotz des Autowahnsinns fehlt es oft an Strassenbeschilderung,
wichtige Kreuzungen sind nicht gekennzeichnet, immerzu muss man fragen,
irgendwas stimmt doch hier nicht.
In einem warmen Tal
begegne ich dann vielen Schwarzen und ihre Froehlichkeit erinnert mich an
Afrika. Ein Junge rennt mir ueber zwei Kilometer nach, bis ich an einem Kiosk
halte, er bettelt nicht, fragt nicht, strahlt mich nur an uebers ganze Gesicht
und weiss gar nicht, was fuer ein Geschenk er mir damit bereitet. So ein
Laecheln aus der Seele verbindet uns, macht satt fuer den ganzen Tag, solches
Laecheln traegt die Welt.
Dann steigt die Strasse
langsam wieder auf 3000 Meter an, in kleinen Doerfern uebernachte ich, immer bin ich dankbar um jede
Freundlichkeit, die man mir entgegenbringt.
Je naeher ich Kolumbien
komme, desto mehr freue ich mich darauf. Soviel Schoenes habe ich schon davon
gehoert, sooft hat man schon darueber nachgedacht, hat manche Situationen
sozusagen geradegedacht, dass ich schliesslich nur noch ein gutes Gefuehl habe.
Ohne grosses Bedauern verlasse ich Equador bin alsbald entzueckt, wie
liebenswuerdig man gleich hinter der Grenze zu mir ist, aber das will ich
erstmal auf meine Anfangseuphorie in jedem neuen Land schieben. Oft schenkt man
mir einen Kaffee oder mal einen Maiskuchen, ein paar Fruechte oder gibt ein
Extrabrot beim Baecker drauf. Fuer Joachim ist das ja nichts besonderes, meint
er, da er ja ziemlich duenn (aber zaeh) ist, wird er oefter mit Essen
beschenkt, mir passiert das so gut wie nie. Die Leute sind durchweg gebildeter,
als in den meisten Andenlaendern, daher ist es mir hier ein Vergnuegen, mich zu
unterhalten, oft ruft man mich sogar als Deutschen an, weil sie die halb
verblichene Flagge auf der Lenkertasche erkannten. Ich dagegen wusste vorher
nicht, wie ihre Nationalflagge aussah. Man bemueht sich allerorts, den
polemisierten schlechten Ruf ausserhalb des Landes zu widerlegen. Praesident
Uribe, der seit 2002 an der Macht ist, versucht mit starker Hand die
naechtlichen Kaempfe zwischen der Guerilla auf der einen Seite und den
Nationaltruppen mit dem Paramilitaer auf der anderen Seite zu beenden. Entlang
der Hauptstrassen praesentieren sich hier vor allen im wilden Sueden alle
Kilometer Polizeiposten, die mich saemtlich freundlich weiterwinken.
Es ist ruehrend, wie
sich die Leute bemuehen, einen friedlichen Eindruck zu hinterlassen.
Allesamt - und das ist eine schoene
Sache - sind sie stolz auf ihr Land, manch einer klopft sich sogar vor die
Brust bei seinen Bestaetigungen.
Nachts solle man
zumindest hier in der Gegend zwar nicht auf den Landstrassen unterwegs sein,
das aber ist nun kein spezieller Hinweis, sondern betrifft so ziemlich alle
Laender der Welt.
Doch gerade in den Staedten ist die Armut augenscheinlich, es gibt im Sueden, wie an der Karibikkueste auffallend viel Prostitution alleingelassener Muetter, die so versuchen, fern vom Heimatort in cognito Geld zu sparen, um es ihren Kindern, bei den Grosseltern zu schicken. Frauen, die in eine Ehe gehen, bringen fast immer Kinder von frueheren Liebschaften mit hinein. Jeder versucht sich ueber Wasser zu halten, viele laufen mit Bauchlaeden herum, Zigaretten und Bonbons mit geringen Gewinn verkaufend, andere bieten Erfrischungen an. Die Alleraermsten, die Alten, ertragen ihre Situation allerdings stets mit Wuerde, die Wenigsten sieht man bettelnd herumsitzen und jeder Bessergestellte gibt doch taeglich etwas ab an seinen Landsmann, das gehoert zum guten Umgangston, ja ich bekomme den Eindruck, man sieht sich mehr als Bruder, so werde auch ich nicht wie sonst lapidar als "amigo" angerufen, sondern als "hermano", als Bruder eben. Auch "gringo" hoere ich fast nie, eher manchmal "mono", wie man hier den Weissen bezeichnet. Es gibt so gut wie keinen Rassismus im Land, da die Bevoelkerung bunt aus Schwarzen, Weissen, Latinos und Kreolen gemischt ist. Das sind alles solche kleinen Wichtigkeiten, die Kolumbien zu einem meiner liebsten Laender gemacht haben.
In der Kolonialstadt
Popayán lasse ich mein Rad in der Herberge und mache mit dem Minibus einen
Abstecher nach San Augustin zu den geheimnsivollen Grabstaetten in der Umgebung.
Bauern stiessen dort vor noch nicht allzu langer Zeit bei Rodungsarbeiten auf
unterirdische grosse Steinplatten, die durch seitliche Stuetzwaende einen Gang
zur eigentlichen Grabkammer bildeten. Die aufgebahrte Person wurde durch eine
gemeisselte Statue, die Stand und Beruf ausgibt, vor dem Gang verewigt. Es
finden sich auch keinerlei Skelette oder Grabbeilagen, weil der Landarbeiter
einfach vor dem Archeologen nach Schaetzen wuehlte. Man datiert diese Arbeiten
auf 1500 vor Christus, weiss so gut wie nichts ueber diese Zivilisation. So
fragt man sich, wie sie solche riesigen Steine zu ebenmaessigen Platten
bearbeiten konnten, ebenso wie die langen Steinbalken, ja woher sie diese
Steine holten, die hier nicht vorkommen, wie man diese also transportierte.
Noch dazu waren sie mit eineinhalb Metern eher kleinen Wuchses, was ihre Muehen
erheblich vergroessert haben muesste.
Die Huegel sind
kuenstlich angelegt, sind aufgeschuettet, tausende von Tonnen Erde muessen sie
an diese Orte transportiert haben. Selbst Frauenstandbilder gibt es, ja Figuren
von schwangeren Frauen, was auf einen hohen Stand der Gleichberechtigung
schliessen laesst. Die Ausdruecke der Gesichter haben allesamt naive aber
wuerdevolle Zuege. Welch Aufwand fuer die Toten! Was fuer ein feierlicher
Augenblick muss fuer sie die Begegnung mit dem Tod gewesen sein, wie etwas auf
das man sein ganzes Leben zugeht!
Es gibt noch andere,
abseits gelegene und damit weniger bekannte Grabstaetten, wohin ich mich
bemuehen will. An einer Strassenkreuzung laesst mich das Sammeltaxi raus und
schon das naechste Auto nimmt mich mit. Es gehoert Alfonso, der ist Chef der
Kaffeegenossenschaft in der Gegend, 1500 Metern Hoehe und viel Niederschlag auf
fruchtbaren Boden geben hier ideale Bedingungen fuer den Anbau vor. Der laed
mich ein, bei ihm zu uebernachten und am naechsten Tag nimmt er sich Zeit fuer
mich und bringt mich zu den Grabstaetten von "Altos de los Idoles",
die noch fanatstischer sind. Die Landschaft ist wunderschoen mit sanft
geschwungenen Taelern, lichten Waeldern, gruen, wohin das Auge blickt. Spaeter
fahren wir zu einem Wasserfall, der 170 Meter in die Tiefe stuerzt, dort essen
wir bei einem Bauern. Waehrend die Frau das Mahl zubereitet, roeste ich noch
Kaffeebohnen ueberm Feuer, die man mir am Vorabend in der Kooperative schenkte
und mahle sie sogleich. Sie trinken ihn im Land aus kleinen Tassen, schwach und
mit Rohrzucker gesuesst, weshalb sie ihn auch nur "tinto" nennen.
Wenn ich mir aber eine anstaendige Portion aufkoche, dann - mhm - schmeckt das
fast wie Bitterschokolade, einfach koestlich!
Zurueck in Popayán
ueberwinde ich mich schliesslich, meine Hinterfelge zu wechseln, die
erstaunlicherweise von aussen unsichtbar innen rundum gebrochen ist und meine
Ersatzfelge, die ich seit Buenos Aires mitschleppe, kommt endlich zum Einsatz.
Mit Joachim fahre ich
dann nach Cali und ueberzeugen uns vor Ort davon, dass dort wirklich die
schoensten Frauen auf einem Fleck zusammenkommen. Zugegeben sind es dem Alter
nach eher Maedchen, eben im besten Alter..., doch ein wenig betruebt beobachten
wir, wie sich die allermeisten von ihnen mit leicht feistgesichtig
dreinblickenden Jungen abgeben, welche auch das Auto - vom wohlwollenden Papa
gesponsort - stellen koennen, um die Fraeuleins bei Laune zu halten.
Hinter Armenia, der
Stadt, die im Februar 1999 von einem schrecklichem Erdbeben heimgesucht wurde,
gibt es zum vorletzten Mal in Suedamerika einen Pass zu bewaeltigen, auf nur 26
Kilomtern zieht er sich 1900 Hoehenmeter hinauf, dann faellt er ebenso steil ins
warme Tal des Rio Magdalena ab und wenig spaeter zieht sich die Strasse
wiederum in vielen Kurven nach Bogotá auf 2600 Meter hinauf. Dort bleibe ich
nur zwei Tage und lasse mein Rad bei Bekannten, weil ich gleich nach Bolivien
zurueckfliege, meine Freundin zu erschrecken.
Dort hat sich die
Situation verschaerft, tagelang liegt der oeffentliche Nahverkehr brach, deren
Chauffeure so eine Erhoehung der Fahrpreise erzwingen wollen, teilweise sammeln
sie sich an wichtigen Kreuzungen und bewerfen die Taxen mit Steinen oder
bearbeiten sie mit Holzknueppeln. Spaeter gibt es sogar einen zweitaegigen
landesweiten Generalstreiks, gegen die Erhoehung der Kraftstoffpreise.
Aber so anarchistisch
lassen sich keine Probleme loesen, auch hier kaempft man gegeneinander anstatt
miteinander. Die meisten Leute, an Unruhen gewoehnt, sehen es trotzdem
gelassen. Nach Weihnachten gehen wir auf Busreise fuer eine Nordrunde im
grossen Land, wir fahren mit langen
Einbaeumen auf Fluessen der Randauslaeufer des riesigen Amazonasgebietes,
werden von Muecken teilweise zum Tanzen gezwungen, aber beobachten neben
explodierender Flora auch Paradiesvoegel, Bruellaffen, fuettern
Kapuzineraeffchen und bekommen sogar seltene Flussdelphine zu sehen.
Eine weitere
gefaehrliche 24-Stunden-Busfahrt auf enger, vom Regen aufgeweichter Strasse
hinauf nach La Paz, wo man jaehrlich immer noch etwa hundert Tote beklagt,
lassen wir aus und fliegen im kleinen Propellerflugzeug dorthin, besuchen
Christian, meinen schweizer Freund dort und sind puenktlich zu Delias
Geburtstag zurueck in Santa Cruz.
Nach fuenf Wochen fliege
ich nach Kolumbien zurueck und beeile mich, an die Karibikkueste zu fahren. Die
Luft in dieser schwuelen Hitze, die mich im Tal hinter Bogotá empfaengt, ist so
ungewohnt dick, dass mich jeder entgegenkommende LKW mit seinem Fahrtwind quasi
ohrfeigt und abbremst, die Stunden zwischen zwei und vier Uhr nachmittags sind
die drueckensten, wenn es auf dem Rad direkt schwerfaellt, die heisse Luft
einzuatmen.
Nach zehn Tagen komme ich
in Santa Marta an und treffe mich das letzte Mal auf dieser Reise mit Joachim.
Wir kennen uns jetzt seit ueber zwei Jahren, seit damals in Kambodscha, soviel
wie man geteilt hat, zaehlt man sich mittlerweile zur Familie. Gerade ist er
ueber Venezuela und Manaus in Belém, an der Atlantikkueste Brasiliens
angekommen und moechte ueber Afrika zurueck nach Oesterreich.
Er schafft es, mich zu
einem Tauchkurs zu ueberreden, der einzigen Moeglichkeit, die Wasserwelt
kennenzulernen. Der dauert drei Tage und ist mit einem abschliessenden Test
verbunden. Aber der Aufwand hat sich natuerlich gelohnt, man schwebte dort
unten an Korallenbaenken mit seinen bunten Bewohnern vorbei, sah Feuerfische,
seltsame wabbernde Riesenwurmer, naeherte sich schillernden Fischschwaermen.
Schoen still ist es, wenn man mal nicht ausatmet und weil man keine Angst
hatte, sich auf diese wundersame Welt einliess, zeigten sich auch keinerlei
Gefaehrlichkeiten.
Als Joachim dann
weiterfaehrt, gerate ich noch in einige Zeitloecher. Irgendwie will ich gar
nicht weg, so gefaellt es mir in Kolumbien, ja in Suedamerika. Soviel lasse ich
hier zurueck, was hatte ich fuer eine grossartige Zeit! Ich ahne, der
Spassfaktor wird in Zentralamerika und immer weiter noerdlich Stueck fuer
Stueck abnehmen. Aber hier grinst man um die Wette, die Musik ist mir
eingegangen, ja bewegt mich, nach Samba
tanzt alles, schmachtende Maennerstimmen, vom Akkordeon begleitet, singen den
Ballenato.
So viele schoene
Menschen, wie es hier gibt! Die Frauen kleiden sich durchweg feminin, wandeln
das Becken schwingend ein Fuss vor dem anderen, welch sinnliche Verschwendung!
Fast alle spruehen vor Lebensfreude. Sobald die Kleinen zu laufen gelernt
haben, fangen sie an zu tanzen, so drollig, sieht das aus, ganz neidisch kann man werden, bei dieser
Natuerlichkeit, der Grazie, dem Rhythmusgefuehl, dieser Laessigkeit! Tanzen ist
eindeutig der Lebensfreude foerderlich!Vielerorts haelt man sich Papageien, die
zu ihren Zeiten uebermuetig herumkrakelen. Dadurch, dass in den Doerfern alle etwa
genauso viel an materiellen Guetern haben, gibt es nichts im Geiz zu verbergen, so stehen die Haustueren
tagsueber sperrangelweit offen. Zum Karneval betrinkt man sich ehrlich fuer
mehrere Tage und die Musik droehnt von morgens bis abends. Unvergesslich, wie
ein altes gebrechliches Ehepaar ganz still auf der Veranda ihres Hauses
sitzend, die Musik mehr fuehlt als hoert, welche direkt hinter ihnen aus zwei
riesigen Boxen wummert. Ich habe ja immer viel zu meckern, das ist kein Hobby
von mir, sondern man verbrennt sich die Zunge dabei und die vielen schoenen
Dinge bleiben in solchen Momenten ungenannt,
aber in dem Land aergere ich mich so gut wie nie! Alle hier sind
entspannt und freundlich, haben einen hoeflichen Umgangston zueinander. Das ist
keineswegs selbstverstaendlich, denn ueber viele Jahrzehnte litt das Land an
vielfach genozidartigen Landvertreibungen mit hunderttausenden von Toten.
Vom Kokain-Krieg bekommt
man wenig mit. Die groesste Macht wurde den Kartellen in den letzten Jahren
entzogen. Es gibt aber einige Gebiete im Hochland, die man wegen dem Anbau dort
leider nicht besuchen kann. Aber was
soll der kleine Kaffeebauer maschen, wenn der Preis dafuer seit Jahren im
Keller liegt? Es bleibt ihm nichts anderes uebrig, als auf den lukrativeren
Coca-Anbau umzusatteln. Man stelle sich vor, dass der Koenig der Drogenbarone,
Pablo Escobar, der Medellin, die drittgroesste Stadt des Landes in der Hand
hatte, vor seiner Festnahme und seines spaeteren gewaltsamen Todes der
damaligen Regierung vorschlug, die gesamten Staatsschulden mit einem Schlag zu
bezahlen! Das mutet wie ein Comic an, aber beweist auch die gespaltene
Situation zwischen Staat und Bevoelkerung, denn das jeweilige Kartell einer
Region war gar nicht so unbeliebt, weil sie, wie diese Anekdote beweist, auch
bis heute etwas fuer die kleinen Leute unternehmen, Schulen und Krankenhaeuser
bauten. So sagte man mir, wuerde es in Medellin niemanden an grundlegenden
Dingen mangeln, jedem dort werde aus der groessten Misere geholfen, auch dies
hoert sich erst einmal fantastisch an.
Ich wuensche mir sehr,
Kolumbien moege nicht in die Abhaengigkeit der USA fallen, wie es die
Nachbarstaaten Equador und Panama bereits sind. Das Paradoxe ist, dass fast das
gesamte Kokain auf vielen unglaublichen Irrwegen nach den USA exportiert wird,
wo der eigentliche Nachfrage-Markt ist. Ich bin nun ganz und gar nicht
ueberzeugt, man haette dort in Nordamerika grosses Interesse, sich diesen
aeusserst lukrativen Handel entgehen zu lassen. Deshalb sind viele Konflikte in
Kolumbien auch konstruiert, um diese gewaltige Geldquelle auch weiterhin im
Dunkeln zu belassen. Aehnlich werden auch viele schon jahrzehntelang
anhaltenden Kriege in Afrika mit Waffennachschueben gefoerdert, wuerden diese
naemlich ein Ende finden, alsbald kaemen neue Investoren ins Land und der
Rohstoffreichtum muesste geteilt werden.
Mittlerweile habe ich es
bis Cartagena geschafft, dessen ummauerte schoene Altstadt von vielen Piraten
belagert und eingenommen wurde. Anstatt mich nun mit dem Segelschiff auf einen
geruhsamen Toern zu begeben, da die Landenge zwischen Kolumbien und Panama
wegen der Guerillavorherrschaft dort ein unabschaetzbares Risiko bildet, fahre
ich schliesslich noch bis nach Turbo, dem letzten Hafenort Kolumbiens am
Isthmus des Doppelkontinentes, wo ich am Nachmittag vor meiner Ankunft doch
noch die Bekanntschaft mit einem Trupp Paramilitaer mache. Die erwarten mich
schon, durch Funkkontakt vorgewarnt, bauen sich im Kreis um mich auf und fragen
mich ueber meine Reise aus, bis ich mich dann bei den Uniformlosen nach ihrer Verfuegungsgewalt erkundige.
Wenig spaeter ueberholt mich auf diesem schweren Stueck Piste, welche mich den
Hinterreifen kostet, ein Motorrad, dessen sonnenbebrillter Fahrer mir erklaert,
ich haette nun freie Fahrt und faehrt voraus. Die Bauern verhalten sich entlang
dieser Bananenplantage auch ungewohnt verschlossen.
Am naechsten Morgen geht
es in einem geraeumigen ueberdachten Motorboot mit anderen Urlaubern zu ein
paar Stranddoerfern. Von hier sind wir nur noch zwei, die weiter nach Panama
wollen. Die Einreise wird meinem Kolumbianer nicht leichtgemacht, auch ich muss
mich beim Grenzort in einem abgetrennten Raum der Behoerde verantworten,
Auskunft ueber meine Finanzen geben, was bis jetzt nur in Australien der Fall
war - na willkommen in Panama! Dann
legt gegen Abend endlich ein kleines Einbaumboot mit Acht-PS-Aussenbordmotor
an, mit welchem ich weiterkomme. Die haben ihren stolzen Preis und daneben
leidet das Rad an mehreren stundenlangen Salzduschen auf dem Ritt durch die
Duenung entlang der Karibikkueste.
Hier wohnen meistens auf
kleinen Inseln des San-Blas-Archipels die Kuna-Yala-Indianer. Sie verwalten
sich selbst und haben sich ihre Unabhaenigkeit ueber die Jahrhunderte bewahrt.
Es gibt keinen Strom, somit auch keine Fernseher, fast alle schlafen in
Haengematten. Die Frauen tragen ihr Haar sobald sie Muetter geworden sind kurz
mit einem roten Tuch gebunden und legen sich die traditionelle Kleidung aus mit
Vogelmotiven bestickten Blusen mit um die Hueften geschlagenen Tuechern an.
Typisch fuer Indios haben sie keinerlei Koerperbehaarung, weshalb mir die Kids
auch gerne an Armen und Beinen rumzupfen. Die duennen Frauenwaden sind mit
einem Geflecht aus gelb-roten Plasteperlen bedeckt, welche sie dann auch nicht
mehr ablegen. Ausserdem tragen sie einen breiten goldenen Nasenring,
Ohranhaenger aus Goldblech und noch mehr Plasteschmuck an Hals und Armen. Die
Maenner dagegen bedecken sich ausnahmlos mit westlicher Kleidung. Die Kleinen
legen erst ab etwa vier Jahren ihr Paradieskostuem ab. Fotos zu machen ist
entweder nicht erlaubt oder eine Frage des Geldes, so lasse ich das mal wieder
mit der Hoffnung, sie bewahrten sich durch solche Massnahmen auch weiterhin
ihre Eigenstaendigkeit.
Ich bin
gluecklicherweise nach einer weiteren interessanten Fahrt der ungebrochenen
Wellen wegen etwa zwei Kilometer von der Kueste entfernt, das Boot dabei
staendig ausschoepfend, nach drei Stunden auf der Insel Tubualá angekommen, wo
ich in sechs Tagen mit dem Versorgungsschiff mitfahren kann. Man baut auf dem
nahen Festland etwas Yucca an und erntet die Fruechte der Natur, wie
Kochbananen und gerade Unmengen Avocados. Ansonsten lebt man vom Fischfang.
Morgens trinken sie ein Glas gesuessten Kakao, dazu ein laengliches Broetchen,
mittags und abends gibt es dann diese waesserige Kochbananensuppe mit einem
Stueck Fisch. Milch kauft man von "Nestlé" im Pulver. Wie sie mit
dieser einseitigen Ernaehrung ueberleben koennen, ist mir schleierhaft, gerade
wenn ich an ihre Kinder denke. Man schafft es, mich am Ankunftstag zum Mahl
einzuladen, was ich als Letzter alleine einnehme. Am naechsten Abend will man
mir schon halb Schlafenden wieder einen Napf hinstellen, aber ich bin kein Hund
und lehne ab, ich haette schon gegessen, was auch stimmt - Brot und Avocados.
Das ist dann auf der wirtshauslosen
Insel mein einziges Futter, bis es mir ab dem vierten Tag schlecht geht und ich
meine Diaet mit kalten Bohnen aus der Dose aufpeppe. Ab und zu rennen die Kids
mit Mangos herum, die man nicht im Laden verkauft, was mich wieder mit langem
Gesicht schauen laesst. Ein Gefuehl, herzlich aufgenommen zu sein, koennen mir
zumindest die Alten nicht vermitteln. Als geschlossene Gemeinschaft ist man
nicht auf Touristen eingestellt. Man hat mir einen Raum auf Bodenhoehe
zugewiesen, wo man mich und meine Ausruestung je nach Grad der Langeweile durch
die Querstreben des Fensters mustert. Die Insel ist sehr klein und aeusserst
unromantisch mit Huetten, vorwiegend aus Bambus errichtet und mit Palmblaettern
bedeckt, zugebaut. Es gibt ein einziges Baeumchen auf dem Fleck. "Sein
Geschaeft" laesst man ins Wasser fallen, das ist einleuchtend und zu
verzeihen, viel Muell machen sie ja nicht, ausser ein paar verottenden
Essensabfaellen, schnell verrostender Dosen und milder Seifenlauge. Zumindest
gibt es Suesswasser womit man sich in kleinen Badehuetten zweimal taeglich den
Schweiss der Hitze abwaescht.
Ich komme bei meiner
Langeweile dazu, mich mit ein paar Schweinen anzufreunden, studiere sie und kann
bestaetigen, sie sind intelligenter als jeder Hund und gruessen bald schon auf
jedes Grunzen von mir bereitwillig zurueck und kommen angetrabt. Spaeter kraule
ich die Ferkel, wie die Muttersau auch hinter den Ohren, was sie sich
stillhaltend, dankbar fuer jede Zuneigung, gefallen lassen, ausserdem – und das
wissen die Wenigsten – wird das Fleisch dadurch zarter!
Die Kinder haben noch
nie ein Rad gesehen, auch kein Erwachsener weiss eines zu manoevrieren. Ich
beschaeftige mich vier Tage damit, alles auseinanderzubauen um das ganze Salz
abzuwaschen, was ueberall Krusten bildete, sich zusehend festfrisst und die
Eisenteile zernagt, schleife und lakiere die rostenden Stellen - mir leuchtet
nun ein, warum ein gutes Boot besser aus Holz gebaut ist.
Endlich geht es weiter.
Wir steuern etwa ein Dutzend Inseln an, das Schiff ist fast ohne Ladung und
befoerdert nur ein paar Passagiere, nimmt die Post mit und fungiert als Bank.
Ueber sechhundert Inselchen gibt es hier, aber da viele mueckenverseucht oder
schlicht zu klein sind, bleiben sie unbewohnt, sind zumindest gut genug fuer
den Traum von der Insel als Foto verewigt, denn sie gehoeren den Indianern und
sind gesetzlich unverkaeuflich.
Ich bekomme auch wieder
warmes Essen mit der restlichen Besatzung: Mittags gibt es Reis mit Tunfisch
aus der Dose, abends Avocado mit Tunfisch und Reis.
Ostern feiern sie hier
gar nicht und da ihnen als Naturvolk das spezielle Enzym fehlt, den Alkohol
abzubauen, sind sie schnell und lange betrunken und fallen unkoordiniert um, was
man manchem an seinen Gesichtsschrammen nach solch einem Exzess auch ansieht.
Von der Insel Cartí
gelange ich dann mit einem Boot ans Festland zurueck und schinde mich die
naechsten zwei Tage auf einem Weg durch den Urwald mit Steigungen bis achtzehn Prozent,
dass mir der Ruecken vom Schieben und Zerren wehtut, ich wie am Ende bin und
mich mal wieder wundere, woher ich die Kraft bekomme, weiterzulaufen, denn das
ist im Moment alles andere als selbstverstaendlich. Am Nachmittag setzt der
Regen ein, welcher dem Lehm hier gerade die ideale Konsistenz zum Haeuserbauen
verleiht. Ein Auto befaehrt diese Strecke aller zwei Wochen, gerade heute kommt
es vorbei. Es ist ein kurzer Land-Cruiser, schon an sich der beste
Gelaendewagen - der rollt auf Schneeketten! Das erklaert am besten den Zustand
der Piste.
Ich kann bei einem
netten Bauern im Stelzenhaus schlafen, der mich mit vielen entbehrten Fruechten
fuettert. Seine Trophaeen aus Leoparden- und Pumafell an der Wand, zeugen vom
Artenreichtum dieses Dschungels. Am naechsten Tag zerreisse ich mir eine
Sandale und stelle darauf fest, es geht besser barfuss voran, obwohl ich mir
davon ein paar Blutblasen und Schuerfwunden hole. Nach 45 Kilometern bessert
sich der Weg endlich, wird breiter, planierter, weil man eine Piste baut. Im
Glauben, dieser Weg sei nicht so schwierig, liess ich mich mal wieder von ein
paar Macho-Maennern auf den Inseln bereden, die ihn schon bewanderten oder
"kannten", weil ich es nicht abwarten konnte, wieder unabhaengig zu
sein.
Dann kommt der Asphalt wieder, einen Tag spaeter erreiche ich
Panama-Stadt und werde wegen den naheliegenden Elendsvierteln auf dem Zubringer
von einem Polizeimotorrad begleitet.
Viel faellt mir zu der
Stadt nicht ein, als dass es recht US-amerikanisch zugeht, weshalb man mir auch
oft in Englisch antworten will. Diese waren ja hier mehrere Jahrzehnte wegen
den Rechten am Panamakanal, der die beiden Meere verbindet. "Es gibt
alles", sagt man wohl dazu: saemtliche nordamerikanische Schnellrestaurant-Ketten,
welche die grosse Mehrheit hier uebergewichtig aussehen laesst und haufenweise
Einkaufszentren. Zwischen dieser Scheinwelt hockt an den Ecken wie verloren
haeufig die Armut aus Alten und Kranken, manche betteln, andere haben neben
sich ein paar halb vergammelte Fruechte zum Verkauf ausgebreitet. Man sitzt
gerne in Autos herum, welche sich tagsueber im Gewuehl nur stockend
vorwaertsbewegen. Nordamaerikanische Schulbusse bruellen durch die Strassen,
diese regeln den oeffentlichen Nahverkehr. Baseball ist zum Nationalsport
geworden.
Leider hat dieser ganze
Ueberschuss zum Ueberdruss gefuehrt, was wenig Humor und eher geringe
Kontaktfreudigkeit beweisen.
Naja, ich war eben die
letzten eineinhalb Jahre anderes gewoehnt...
Vielen Dank fuers Lesen,
bis zum naechsten Mal,
Matthias.