La Paz, August 2004
Lieber
Leser!
Dann
schaffe ich es heraus aus Buenos Aires, voller Zeitloecher sind solche Orte,
man kann sich nur hueten, einen Bogen darum machen oder sich anziehen lassen,
geraden Weges alle Dinge annehmend, die sich anbieten, aus irgendwelchen unergruendlichen
Gruenden. Es sind immer kurze Naechte vor so einem kleinen Neustart, in denen
mir noch hundert Kleinigkeiten einfallen. So muss ich, nachdem ich mich endlich
auf Seitenstrassen aus dem Grosstadtmob herausgewunden habe, um die
gefaehrlichen Autobahnschleifen zu vermeiden, auf einem Bordstein sitzend erst
mal wegdaemmern. Dann kommt ein netter Opa vorbei, schenkt mir ein paar Bonbons
und seine suesse Enkelin ein Abschiedskuesschen, das mich beschwingt
weiterfahren laesst. Solche einfachen Leute beweisen oft Charme und Herz,
besser als die Reichen verstehen sie es, sich den Tag durch solcherlei
Kleinigkeiten zu verschoenern.
Spaeter
treffe ich dann noch Juan auf der sonntaeglichen Spazierfahrt, sein
chinesisches Rad ist mit Wimpeln und Katzenaugen verziert, dazu zeigt er mir
stolz die installierte Stereoanlage von einer Mopedbatterie gespeisst, ja
selbst Angel und andere Notwendigkeiten haben Platz auf seinem Stueck Freiheit
gefunden. Er haelt gerade, beobachtet Voegel im Schilf, erzaehlt mir, sie
haetten ihn letzte Woche in seiner gruenen Kleidung ganz nah herankommen
lassen, heute mit anderen Sachen eben nicht. So zufrieden scheint er, sich
damit beschaeftigend, die Sprache der Natur besser zu verstehen, laesst mich
innerlich herzlich lachen.
Spaetnachmittags
quaele ich mich ueber zwei riesige achtzehn Kilometer auseinanderliegende
Bruecken, die ueber die beiden Arme des Rio Paraná fuehren, bevor er ein Stueck
weiter abwaerts ins Delta zerfliesst. Hier ueberhole ich noch einen tragischen
jungen Wanderer, barfuss, gepaecklos, in zerissenen Hosen, auf seinen langen
Weg, Arbeit zu finden, dem gebe ich ganz ungebeten Wasser und Salzkekse, bevor
ich mich mit Kloss im Hals davonmache. Alles ist hier ziemlich versumpft, und
ich brauche eine Weile, bis ich schliesslich noch einen Platz fuer's
Moskitonetz bei der Strassenpolizei bekomme. Denen reisse ich dann ihr
verrottetes Waschbecken von der Wand, dusche mich an der Zuleitung, bis ich
diese endlich mit Holzstoeckchen notduerftig stopfe kann. Dann druecke ich mir
die Ohrenstoepsel, diese segensreiche Erfindung, tief in den Kopf und lass es
gut sein, mein Tagewerk. Drueckend heiss wird es die naechsten Tage, ich ziehe
mal wieder den Turban gegen die Hirnerweichung auf, dabei glaettet sich
naemlich die Hirnrinde, verliert so an ihrem furchenreichen Volumen und dann
kann man noch schlechter nachdenken, das hab ich im sonnigen Afrika gelernt.
Um den
Schwerverkehr Richtung Brasilien zu umgehen, suche ich mir eine Nebenroute,
finde mich alsbald zwischen Mais-und Rapsfeldern auf recht schlechten, aber
ruhigen Strassen. Leider ist mal wieder alles eingezaeunt und ich erfrage mir
auf kleinen Raststaetten, Tankstellen oder Bauernhoefen meinen Zeltplatz. Es
ist immer das Gleiche, nie komme ich frueh genug zum Schlafen, denn etwa ab ein
Uhr nachts messen sich die Haehne der umliegenden Gehoefte an ihrer
Kraehstaerke, der eine metert los, darauf fuehlen sich die anderen provoziert
und geben ebenfalls ihr Bestes, der letzte Schreihals kann sich dann fuer die
naechste Stunde als Oberhahn fuehlen, bis dieser Fluch fuer mich wieder
losgeht. Dazwischen klaeffen dann die Koeter um die Hoheit der Nacht. Der
Mensch hat sich offensichtlich viel von den Tieren abgeschaut, bestaetigt die
Fabeldeutung ganz individuell durch seine Gehabe. Morgens fragen mich die
Besitzer oft floskelhaft, ob ich denn gut geschlafen haette, ich sag dann immer
etwas zerknirscht, wenn es nach mir ginge, wuerde ich hier jeden Tag Haehnchen
essen, dass sie mich darauf unsicher anlaecheln. Jedes Mal nehme ich mir vor,
einen Platz abseits dieser Laermquellen zu finden, allein es klappt nur sehr
selten.
Nach Regen fluechten oft viele
Tarantel-Spinnen auf die Strasse und lassen sich dort zerfahren, einmal posiert
sich eine Giftschlange in Drohgebaerde vor mir, ich komme gerade noch zum
letzten Foto und schon matscht ein Auto drueber - Agonie und Tod, der ganze
Aerger wegen mir! Bischen mulmig ist mir, wenn Blitze in dieser Schwuele in
meiner Naehe einschlagen, ob mir hier das Fuerchten gelehrt werden soll oder
eher mein Vertrauen gestaerkt?
Bald ist
dann fuer viele Tage der Paraná mein Gefaehrte, traege, breit und schlammig
fliesst er dahin, ab und zu schwimme ich vorsichtig ein bischen mit der starken
Stroemung. Anhand der Koeder, der Angelhaken, die sie entlang der Strasse
verkaufen, muss man hier grosse Fische fangeln koennen und Piranhas, die eher
im Fernsehen gefaehrlich erscheinen.
Die Provinz
Corrientes ist das Armenhaus des riesigen, vielgesichtigen Argentiniens. Bezeichnender
Weise kamen hier die meisten der 300 Soldaten her, die im Falklandkrieg ihr
Leben liessen. Kinderreiche Familien gibt es haeufig, einmal zelte ich bei
einem Tabakbauern, der mir mit Alkoholfahne wieder seine Misere erklaeren will,
seine zwei Soehne aufzaehlend, die sieben Toechter unterschlagend, die mit
seiner Frau, einer zahnlosen Alten von vierzig Jahren die ganze Arbeit machen,
er sich dagegen am naechsten Morgen ohne Abschiedsgruss von ein paar Bekannten
zum Fischen abholen laesst. Verhuetung ist hier schon wieder ein Fremdwort, der
Machismo dominiert aufgrund von eminenten Bildungsdefiziten. Manchmal muss ich
auch schon mehrmals fragen, werde argwoehnisch von Halbstummen abgewiesen,
bevor ich mein Zelt aufstellen kann. Es ist immer ein wahrer Kraftaufwand, nach
so einem Radtag von hundert und mehr Kilometern noch diese ganze
Campinggeschichte durchzuexerzieren: Aufbauen, Rumkramen, Auspacken, Kochen,
Uebersicht halten, Wegraeumen, Koerper-und Radpflege, viele kleine Arbeiten,
bis man am naechsten spaeten Vormittag endlich weiterrollen kann.
Durch das
feuchtschwuele Klima beguenstigt, hat es wieder viele Insekten hier, vor dem
Schlafengehen hole ich mir immer erst noch blutige Haende beim Mueckenklatschen
im Zelt, grosse Kaefer krabbeln umher, Stabheuschrecken torkeln in Mimikri,
alles gutes Futter fuer die dicken Ochsenfroesche, die die Lausebuben manchmal,
mir Herzkraempfe bereitend, volley nehmen. Die Leute sind jetzt wieder sehr
freundlich, mal schenkt man mir Fruechte, weist mir die Dusche und laesst mir
keine Ruhe. Einmal werde ich auf weiter Flur vom Blitzgewitter ueberrascht,
gelange voellig durchnaesst endlich zu einem Ort, dort kuemmert sich Hector und
seine Familie um mich mit Essen und Unterkunft, tags darauf gehen wir auf
erfolglose Krokodilsuche, aber endlich sitze ich mal auf einem gutmuetigen
Gaul, freue mich die ganze Zeit kindisch, wie er mich durchs hohe Gras
schaukelt, hier im Land der Gauchos, wo Reiter mit breitkrempigen Hueten auf
ihren Pferden noch ein ganz gewoehnliches Bild abgeben. Hector schenkt mir noch
ein Shirt von der Gegend, im Auto begleiten sie mich noch ein Stueck heraus -
sind das liebe Leute!
Dann erreiche ich
die Provinz "Missiones". Wie der Name verraet gibt es hier, wie auch
im angrenzenden Paraguay und Brasilien insgesamt siebzehn laengst ruinierte
Missionen. Moenche des Jesuitenordens bauten diese in der ersten Haelfte des
siebzehnten Jahrhunderts. Zur Seite standen ihnen die treu ergebenen Indios,
man buerdete sich ein hartes Leben auf, getragen von der Idee, sich eine neue
Welt in Gottergebenheit zu schaffen. Im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts
wurden sie aufgrund von Eroberungskriegen verdraengt, ihre Klosteranlagen dem
hungrigen Zahn der Subtropen ueberlassen.
Jetzt muss ich
zurueck auf die grosse Hauptstrasse, die erst spaeter einen Randstreifen
bekommt, bin wieder manchem ruecksichtslosen Fahrer ausgeliefert. Unvergesslich,
wie so ein LKW mit Anhaenger am spaeten Nachmittag des Ostersonntags mit zehn,
zwanzig Zentimetern an mir vorbeidonnert, gleich danach ein Pick-Up mit
Motorbootanhaenger mich ebenso knapp verfehlt, dabei noch hupend, als haetten
sie die bessere Lebensberechtigung. Ich fluche ein paar Polizisten an, was sie hier kontrollierten, wo
gerade jeder Zweite besoffen fahren wuerde. Joachims Gedanken einmal auffassend,
der meint, Autos haetten was Teuflisches, muss ich ihm doch immer mehr recht
geben. Schadstoffausstoss, Windvermehrung, Laerm und deren Auswirkungen sollen
bei dieser Betrachtung ausser acht gelassen werden. Desgleichen auch der Faktor
Bodenverdichtung durch ein immer umfangreicheres Strassennetz in engbesiedelten
Gebieten, was dazu fuehrt, dass Regen nicht mehr absickern kann, sondern nur
noch abfliesst - in betonierte Kanaele, um so noch reissender fuer die naechste
Ueberflutung zu sorgen, wie es mir Joachim erklaerte. Nein, es soll eine rein
menschlich betrachtet werden: Je groesser, schneller, teurer das Auto, umso
verbissener, ueberheblicher schaut des Fahrers Gesicht, desto ruecksichtsloser
benimmt er sich, hier haeufiger, als im Schilderwald europaeischer Strassen,
bis er hinterm Lenkrad hervorkrauchend, als Zivilist wieder auf seine
eigentliche Groesse zusammenschrumpft. Ich waere fuer ein psychatrisches
Gutachten zur Erlangung der Fahrerlaubnis, das alle paar Jahre wiederholt
werden muesste. Streng kategorisiert nach seiner geistiger
Zurechnungsfaehigkeit duerfte der Anwaerter eben Bus, LKW, PKW, Moped fahren,
nur Fahrrad lenken, zu Fuss gehen, oder sich chauffieren lassen. Es kann doch
nicht sein, dass jedes Weichhirn nur aufgrund seines Geldbeutels oder seines
fahrerischen Berufes berechtigt ist, im PS-starken Gefaehrt, seine Komplexe
verscheuchend, den Rest auf der Strasse zu jagen. Aber da haengt soviel
Wirtschaft dran, die ja immer wachsen "muss", keine Ahnung warum, die
auf die ganzen zahlungswilligen Schwachkoepfe nicht verzichten kann. Hier zeigt
jeder sein "Moechtegern-Gesicht", bestaetigt sein tierische Herkunft.
Transporterleichterung und Zeitersparnis verlieren an Glaubwuerdigkeit hinter
dem ethischen Gedanken, es ist immer mehr ein Wahnsinn auf den Strassen. Wer
hat nicht schon alles einen Menschen aus seinem Vertrautenkreis im
Strassenverkehr verloren, wer belud sich deswegen nicht schon alles mit Schuld.
Keiner hat je auf meinen Fingerzeig, meine Faustschuettelei angehalten, oder ist
auf mein Winken aus seinem Fuehrerhaus gestiegen, nur mal ein ehrenwerter
Spanier in seinem Land, einen Baseballschlaeger aus dem Kofferraum
hervorzaubernd. Der Leser sei hier aufgefordert, mich in meinem Gezeter zu
ignorieren, als ginge ihn das alles nichts an, indem er sich umsichtig,
ruecksichtsvoll, eben als Menschenfreund im Strassenverkehr und sonstwo
darstellen moege. In meinem Aerger und Zweifel wuerde ich doch auch immer gerne
eines Besseren belehrt.
Auf viele
Deutschstaemmige trifft man in Missiones, oft verwirrend blond und hellaeugig.
Manche Bauern, mit denen ich mich hier in meiner Muttersprache unterhalte,
erscheinen mir durch ihr arbeitsreiches Leben wie devot, so abgehaermt sehen
sie aus, keine Spur vom "Herrenmenschen" leben sie hier Tugenden von
Fleiss und Anstand, die in Deutschland laengst verpoent sind, dort, wo fast
niemand mehr an diese Siedler der alten Welt denkt.
Die
kommenden dreihundert Kilometer fuehrt mich die meist schnurgerade Strasse
durch waldreiche Gebiete, staendig geht es bergauf und bergab mit mir, die
Bierpause in dieser Hitze wird zur willkommenen Pflicht, um den
Mineralienhaushalt aufzufrischen. Gut gekuehltes Pilsner geht hier in der
Ein-Liter-Glasflasche zum Fairpreis von etwa sechzig Eurocent ueber den Ladentisch.
Kurz vor den Iguazu-Wasserfaellen treffe ich dann Joachim wieder, der gerade
von einem Freund aus Paraguay kommt. Auf den letzten Tag meines Visums schauen
wir uns dann das Spektakel an, mit welcher Wucht das Wasser aus 48 Zufluessen
hier ueber 275 Kasakden faellt, einem Teppich gleich, 1700 Kubikmeter pro
Sekunde, danach erst zaehlt man die Victoriafaelle und viel spaeter die
Niagarafaelle auf. Dieser Nationalpark
beherbergt viele seltene Spezies wie Opossum, Kapuzineraeffchen, Echsen, Tukane
und Unmengen von Schmetterlingen, wir haben das Glueck, einige der
Genannten beobachten zu koennen.
Auf
brasilianischer Seite suchen wir uns einen netten Campingplatz in der Stadt,
fahren zum nahegelegenen Itaipu-Staudamm, dessen Kraftwerk an Groesse und Wirtschaftsnutzen
weltweit bislang unangefochten ist, so wird es uns auf kostenloser
Propagandabusfahrt souffliert. Zu fuenfundzwanzig Prozent versorgt er Brasilien
mit Strom, zu achtzig Prozent Paraguay. Dass laut Expertenmeinung der Damm in
etwa zwanzig Jahren versandet sein soll, wird natuerlich verschwiegen. Man hat
hier die Moeglichkeit, Alkohol, durch Zuckerrohr gewonnen, neben herkoemmlichen
Sprit zu tanken. Der Wirkungsgrad soll allerdings etwas schlechter als der von
Benzin sein, Tankstellen dazu finden sich eher im bevoelkerungsreichen
Suedosten des Landes. Nach fuenf Tagen Troedelei rollen wir weiter, nach
weiteren zehn Tagen trennen sich unsere Wege wieder, da Jockel erst noch nach
Asuncion zurueck muss, ich in Richtung Pantanal weiter will. Doch verabschieden
wir uns im Aerger ueber das unterschiedliche Reisetempo und es wird einige Zeit
brauchen, bis man wieder gut miteinander ist.
Die erste
Zeit habe ich so meine Verstaendigungsprobleme mit dem Portugisisch, ich schweige
mich eher aus, bis ich nach einer Weile wieder ein paar Frasen zu imitieren
gelernt habe, denn so lernt man ja am schnellsten eine neue Sprache, indem man
den Leuten auf den Mund schaut. Das bisschen Brasilien, was ich hier erlebe,
ist nun ganz anders, als die allgemeine Vorstellung von Karneval und
Bikinistraenden. Ich fahre durch langweiliges Agrarland, entlang der Grenze zu
Paraguay, Kontrollposten winken mich oft herrisch heran, von denen manche sich
gleich mit zwei Revolver im Hueftgurt schmuecken. Als Mittel gegen ihre
Langeweile muss ich dann erst meine paar Herkunftsverse aufsagen, bis ich
weiterdarf.
Viel Soja
wird hier angebaut, die Erntehelfer kommen aus dem Grossraum Sao Paulo, wohnen
oft das ganze Jahr ueber in den Elendsbehausungen aus Holzplanken oder
Plastikplanen, die sich entlang einiger Strassen ziehen. Der Mittelstand faehrt
viel "Opel" und "VW", davon man mehr als in Deutschland
sieht, der "Passat" heisst hier "Parat, der "Golf" hier
"Gol", uebersetzt "Tor", am Wochenende hoert man dann die
Kommentatoren der Fussballspiele euphorisch bei jedem Torschuss ein etwa
zehnsekuendiges "Gooooool" bruellen, so wie ueberall in
Latainamerika. Fussball ist schon eine ernsthafte Sache. Einige Doppelstaedte
gibt es hier zwischen den beiden Laendern, in denen man ohne extra ein- und
auszustempeln umhergehen kann, ganz ohne Polizei. So bleibe ich drei verregnete
Tage im billigeren Paraguay , an anderen Orten werde ich ebenfalls noch durch
Stromregen festgehalten, komme nur langsam voran.
Die riesigen
Weideplaetze der Fazendas sind wieder unvergattert und ich habe endlich wieder
ein paar ruhige Naechte, bei Kerzenlicht lese und schreibe ich noch ein
bischen, mixe mir meinen Caipirinha, dem nur das Eis fehlt und bedenke hier
unterm Sternenzelt, wie gut es mir doch eigentlich geht. Das ist nun wieder
Heimat von immerzu scheltenden Gruenpapageien. Auch ein paar grosse Paerchen
dieser "Unzertrennlichen" in gruen und blau machen manchmal
kraechzend auf sich aufmerksam. Tukane sehe ich, endlich auch ein
Kolibripaerchen, unglaublich behende und schnell schwirren sie gerade ueber
meinem Zelt herum. Jabirus, die groesste Storchenart, staken elegant in
Tuempeln. Einmal zelte ich an einem Teich voller Krokodile, Zwei-Meter-Brocken,
die paar Siedler an diesem sonst mueckenverseuchtem Platz, waschen nur ein paar
Meter abseits ihre Waesche, Augenpaare blinzeln ueber der Wasseroberflaeche.
Spaeter ruft die gemuetliche Mama der einen Huette sogar noch ein Krokodil beim
Namen, bis es tatsaechlich ans Ufer kommt. Wie es mir die Jungs vormachen,
streichle ich dann auch noch eins an seiner Schwanzflosse.
Am
naechsten Tag verlasse ich auf Gutheissen eines Polizisten die Asphaltstrasse,
biege in den tieferen Pantanal-Nationalpark ein. Diesen Tag komme ich noch ganz
gut fuenfundfuenfzig Kilometer dort voran, an einem Kiosk an einer Wegkreuzung
kann ich mein Zelt unterm Vordach aufstellen. In der Nacht gewittert es schwer
und der folgende Morgen zeigt die Piste voellig verschlammt, Die Frau dort sagt
noch aufgeregt, der Weg sei unpassierbar, aber da es "nur" neunzehn
Kilometer bis zum Rio Paraguay waeren, von wo dann eine Faehre ans andere Ufer
setzt, entschliesse ich mich dann doch noch, aufzubrechen. Aber so ein paar
Kilometer koennen sich hinziehen, bald schon muss ich durch die schlammigsten
Passagen schieben, was mehr Kraft braucht, als im ersten Gang zu treten,. Bis
zum Knoechel stake ich so in dem Schlammassel, meine schwere Fuhre zerrend.
Zwei Endurofahrer treffe ich, die beide hier schon stuerzten, nein, sowas haetten
sie noch nicht erlebt. Bald darauf zerreisst mir mit lautem Knall mein Schlauch
vom Hinterrad, ich bleibe ruhig, befreie mit Tuch Felge und Reifen vom Schlamm,
flicke den Schlauch, naehe den Mantel, waehrend mich unzaehlige Muecken
pisaken. Nach etwa eineinhalb Stunden bin ich soweit, fertig, rolle weiter, bis
etwa zwei Kilometer weiter wieder der Reifen knallt. Dabei ueberdenke ich einen
Moment, wie es jetzt waere, auszuflippen, aber das bringt mich ja auch nicht
weiter und so putze ich erneut den Schlamm herunter und wieder ziehe ich
schwitzend Mueckenschwaerme an, die sich ueber mein Spray nur kaputtlachen.
Diesmal hole ich aber den Faltreifen aus dem Gepaeck, dass spaeter nur noch mal
die Kette reisst, die voellig steif vor Schlamm ist.
Siebeneinhalb
Stunden brauche ich fuer diese ebene Strecke, auf der Faehre sind dann noch ein
paar reiche Schnoesel mit ihren blitzblanken Gelaendewagen, die sich nicht
weitertrauten, Bier aus dem Cooler trinkend, die haben kein Wort fuer mich
verdreckten, hungrigen Wanderer, geschweige denn etwas Gerstensaft, einen Frau
vom Dorf schenkt mir ein Laecheln und einen Bonbon, ganz dankbar bin ich ihr
dafuer. Der Weg auf der anderen Seite am naechsten Tag ist um einiges besser,
steinig zwar, aber schlammfrei, bis ich nach fuenfzig Kilometern wieder auf der
Hauptstrasse bin. Klar war's spannend, aber voellig umsonst, habe ich doch
nicht mehr Tiere gesehen, als von der Asphaltstrasse aus. Von nun an will ich
nur noch Frauen nach dem Weg fragen, die sind einfach ueberlegter in ihren
Antworten, schicken einen nicht auf sprichwoertliche Abwege, wie dieser
bekloppte Polizist. Die meisten Typen hier wollen sich keine Bloesse geben,
sind Alleskoenner, Alleswisser, ueberschaetzen sich oft masslos in ihren
Antworten. Haeufigstes Beispiel sind immer die Zeiten, die sie benoetigen
wuerden, um auf einem tollen Rad wie meinen von A nach B zu gelangen. Dafuer
blamiere ich sie dann immer gerne vor den Zuhoerern, denn beim Radfahren macht
mir mittlerweile keiner so schnell mehr was vor. Oft genug hoere ich, ob ich
mein Rad nicht eintauschen wuerde, "Nicht mal gegen seine Frau.",
sage ich dann immer herausfordernd, weil mir diese bloeden Sprueche laengst
ueber sind, hundertmal gehoert.
In Corumbá,
dem brasilanischen Grenzort zu Bolivien spiele ich dann nochmal Sisyphus, indem
ich mich ein letztes Mal an meinem geplatzten Reifen probiere, ihn auf beiden
Seiten rundherum naehe. Dann fahre ich vollbepackt zur Immigration am
Zugbahnhof, die halten aber gerade streng ihre dreistuendige Mittagspause ein,
so rolle ich zurueck zum Hotel und im langen Korridor knallt mir der Reifen
dann zu letzten Mal, welch Zeichen! Ich schneide den Drahtguertel raus, beim
Schuster schleife ich am Elektrobock die Noppen der Maentel runter und beweise
denen dort, dass so ein "Gringo" sich nicht unbedingt vor Arbeit und
Dreck scheut. Diese lege ich dann unter die neuen Reifen, um der Karkasse mehr
Steifigkeit zu geben. Beim zweiten Anlauf schaffe ich es dann auch ueber die
Grenze.
Endlich bin
ich also in Bolivien werde im ersten Dorf am Abend neugierig empfangen. Die
kleine drollige Schwester der Brotverkaeuferin dort ist mir noch im
Gedaechtnis, wie sie auf meine Frage, wo ich schlafen koennte, voellig
selbstverstaendlich , in Richtung zeigend "Dort habe ich mein Haus.",
sagt, wie "Schlaf doch dort.", dass ich loslachen muss, ueber diese
Vertauensseeligkeit. Es kommen noch zwei Leute, die mich einladen wollen, aber
ich bin bereits am Zeltaufbauen, und in meinem Falthaeuschen finde ich doch am
ehesten Ruhe und Privatsphaere, als noch mehrmals meine Radgeschichte vorbeten
zu muessen. Habe ja schon eine beunruhigende Ahnung, dass diese sechshundert
Kilometer durch den Chaco im schlechten Zustand sind, fuehrt doch mehr oder
weniger neben der Strasse eine Eisenbahnlinie entlang. In fuenf langen Tagen
schaffe ich knapp die Haelfte, mal ist der Weg von Steinen besaet, mal
versandet, oft frage ich mich, warum ich mir das alles antue, mir faellt nichts
ein, als dass man doch nicht aufgeben soll. Irgendwie habe ich mir den Magen
verdorben, schade ums Essen, was keinen Halt in mir findet.
Im Camp der
Arbeiter, die hier in der Naehe am Gasodukt arbeiten, kann ich zelten, der
Stromgenerator geht erst nachts um elf aus, morgens halb vier springt er schon
wieder an, wie zerhaemmert fuehle ich mich und muss doch weiter, als nochmal so
eine kurze Nacht zu haben. Ich erbete mir im naechsten Dorf einen Platz in der
Ambulanz, einem winzigen Haeuschen mit zwei Krankenbetten - der Doktor kommt
dort nur alle zwei Wochen vorbei - und schlafe mich gesund. Per Lautsprecher
werden die Leute hier zur Telefonzentrale gerufen, mit dem Anrufer verbunden.
Man schafft
sich allerorts Laermquellen, fuer mich sind diese sinnlosen Geraeusche immer
eine Zumutung fuer die Ohren. Da rattert der Generator, nur, um sich auf zwei
Fernsehkanaelen Seifenopern reinzuziehen oder um eine einzige Gluehbirne
scheinen zu lassen, ueberlagerte Geraeuschkulisse aus Radio- und Tonbandmusik
ungedaempft ob am Tage oder zur Nacht - ein Verbrechen gegen die verehrte Musik
dass mein Herz ausser Rhythmus schlaegt, ebenso ruecksichtslos die lautstarken
Unterhaltungen der maennlichen Maenner hier, hahnengleich zu jeder Stunde. Auf
Autodaechern plaerren Lautsprecher Reklame und Neuigkeiten heraus, ueber die
Haustiere liess ich mich ja schon aus, bleiben noch die Fahrerzeugfuehrer mich
hier staendig anhupen, alles Sachen die ich einfach nicht verstehen will, dass
man schon anfaengt sich vor die Stirn zu schlagen, um die ueberschuessigen
Hirnzellen zu beseitigen, des Friedens Willen. Keine Ahnung warum dieses
Geraeuschkulisse nur mich zu stoeren scheint, aber der Gleichberechtigung ist
das nicht zutraeglich, hier laesst man
sich unterbuttern und dort teilt man dafuer wieder aus.
Am fuenften
Tag muss ich durch vier knietiefe Fluesse, dann setzt der Regen wieder ein,
diesmal staerker, im ersten Gang schneiden sich die Raeder durch den Sand, der
beim Bremsen wie Schleifpapier auf die Felgen wirkt, die Kette knirscht und
verhakt sich nur noch, nein, Schluss jetzt, ich verspreche meinem stummen,
duldsamen Kameraden, im naechsten Ort den Zug zu nehmen, gegen diese
Materialschlacht. Dieser faehrt wieder durch die Nacht, zwischen Ballen und
Kisten voll brasilianischer Gueter sitzend, mache ich kein Auge zu, waehrend
der Zug auf den ausgefahrenen Gleisen bedrohlich schlingert - bei Tempo
dreissig. Im Morgengrauen sehe ich, es war die richtige Entscheidung,
umzusteigen, der Regen haelt an, nicht ein Lastwagen faehrt, die warten alle,
bis die Piste, die gerade halb unter Wasser steht, abgetrocknet ist. Ein paar
Pick-Ups stehen quer, nur ein Moped kaempft sich mit Wasserfontaene vorwaerts.
Aber es bleibt dabei: Nur aeusserst ungern verlade ich das Fahrrad auf andere
Transportmittel, denn immer geht irgendwas kaputt, man gibt nicht acht auf
andere Leute Gegenstaende. So wird mir im indischen Chaos am Halteort, dem der
Bahnhof wie die Rampe fehlt, das bepackte Rad durch die halbgeoeffnete Tuer des
Frachtwaggons runtergereicht, "Da, nimm schon.". Wie ruecksichtslos
man hier ist, bemerke ich das erste Mal und schreie die Typen wild an. Meine
Schnapsflasche haben sie sich auch noch vom Flaschenhalter gezogen, stelle ich
spaeter fest.
Eigentlich
wollte ich ja schon einen Ort vorher raus, nur kam ich nicht zum Aussteigen,
weil alles ameisengleich durch die Gaenge wimmelte. Ueber die Holzbohlen einer
zwei Kilometer langen Eisenbahnbruecke schiebe ich mein Rad, fahre zurueck nach
Pailon, der Ort hat mein Interesse, weil es hier im Umland viele Kolonien von
Mennoniten gibt. Im ganzen Land sind es 40000, ihr Stammvater war ein
niederlaendischer Prediger namens Menno Simon, der vor 500 Jahren diese
Gemeinschaft ins Leben rief, die sich auf bibeltreues, strenges, sittliches
Bauerleben verpflichtete. Auch Neuerungen der Technik wurden als Teufelswerk
verworfen, weshalb man sich in abgelegene laendliche Gebiete zurueckzog. Bis
heute vermischt man sich nicht mit Einheimischen, ist bedacht unter sich zu
bleiben, blond, hellaeugig, weisshaeutig. Seit etwa zehn Jahren gibt es nun
eine Spaltung unter ihnen, marktwirtschaftlich bedingt, bearbeitet jetzt ein
Teil seine Felder mit Maschinen, klemmt sich das Handy in den Hosengurt, faehrt
auch in der Freizeit Auto, besucht Kneipen, geniesst die Vorzuege der
Zivilisation, waehrend der andere, der kleinere Teil weiterhin zurueckgezogen
mit Ackergaeulen und Fuhrwerken hantiert. Die Tracht stammt allerdings noch aus
dem vorigen Jahrhundert, die Maenner mit breiten Strohhueten in hellen
Leinensachen, die Frauen und Maedchen entzueckend schamhaft, gesenkten Hauptes
unter ihren Hueten mit Schaerpe. Immer laufen sie ein Stueck hinter dem Mann,
im Leinenkleid, die Fuesse in schwarzen Schnallenschuhen, die Waden brav mit
dunklen Socken bedeckt. Die "moderneren" Maenner tragen aber auch
Cowboyhuete aus Stroh und Jeans-Latzhosen zum Stadtbesuch, wahrscheinlich, da
die meisten hier kanadischer Abstammung sind, unter sich sprechen sie perfektes
Plattdeutsch, wie es nur noch wenige Friesen beherrschen.
Dann bin
ich endlich in Santa Cruz, fahre im dichten chaotischen Verkehr ins Zentrum der
Stadt, die sich in Ringstrassen netzfoermig aufbaut. Die Fussgaenger warten
devot am Strassenrand, bis sich eine Luecke im Autotross bildet, dann erst
ueberqueren sie die Fahrbahn. Der Autofahrer ist so daran gewoehnt, dass er
kaum seine Geschwindigkeit verringert und schon gar nicht anhaelt fuers
einfache Fussvolk, auch ein Umstand an den ich mich einfach nicht gewoehnen
kann.
Zur Feier
meiner Ankunft will ich mir eine Flasche Wein kaufen und frage in einem
Supermarkt ein huebsche Menschin nach den bolivianischen Rotweinen. Seit diesem
Tag verlaeuft meine Weiterreise sehr schleppend. Zwar fahre ich immer wieder
ein Stueckchen weiter, aber bald sitze ich, das Rad zuruecklassend, wieder im
Bus zurueck.
Der Weg
durch die Andentaeler ist wie erwartet steinig, staubig, steil. Hinter ein paar
Bergzuegen verlasse ich das schwuele Flachland, fahre durch die Trockenheit
lichter Kakteenwaelder. Fuer das schlechteste Stueck von hunderfuenf Kilometern
brauche ich fuenf Tage, es ist also Wandertempo angesagt. Interessanterweise
gewoehnt man sich mit besorgtem Blick auf das schwerbebackte Rad auch an diese
Langsamkeit. Nach der Haelfte der Strecke bricht mir dann auch noch ein
Anloetteil vom Rahmen weg, worauf der Gepaecktraeger sitzt. Das schmerzt mich
wie dem Rad, dem ich nach fuenf Jahren laengst Leben eingehaucht habe. Ist es
Materialermuedung, nach knapp 60000 Kilometern oder ist es einfach mal wieder
" die uebelste Piste seit jeher"? Zwei Doerfer und fuenundzwanzig
Kilometer weiter finde ich dann einen geschickten jungen Mann, der mir diese
Gewindeoese mit Bronze wieder anloetet.
Laengst bin
ich im traditionellen Indioland, deren Bewohner sechzig Prozent der
Acht-Millionen-Bevoelkerung Boliviens ausmachen, dass dreimal groesser als
Deutschland ist. Immer noch ist mir schleierhaft, wie sie in dieser Halbwueste
seit Jahrhunderten ihre Felder bestellen, so karg sieht es hier im Winter aus.
Als einsamer Radfahrer werde ich in den Doerfern immer herzlich begruesst, mal
gibt es ein paar Schalen Chicha, dem gegorenen Maisbier oder mir wird ein
Schlafplatz in einem der Adobehaeuser angeboten. Jetzt muss ich ein paar Worte
Quechua lernen, um an manch abgelegenen Ort ueberhaupt verstanden zu werden.
Die Frauen tragen ihre langen schwarzen Haare in zwei Zoepfen, am Ende mit
Baendern verbunden, auf dem Kopf den typischen , unpraktischen Melonenhut,
immer ein paar Nummern zu klein, dazu einfarbige Blusen, aufbauschende
Faltroecke bis uebers Knie, die ihre duennen Waden eher unvorteilhaft
erscheinen lassen, die Fuesse selbst in der kalten Jahreszeit immer strumpflos
in Sandalen. Die Babys werden, wie auch in vielen Gegenden Suedostasiens in ein
grosses Tuch gebunden auf dem Ruecken
getragen. Die staendige Schaukelei dabei scheint die Kleinen gar nicht zu
stoeren, erstaunlich ruhig sind sie, wahrscheinlich durch die staendige
Mutternaehe, wie der Mutterwaerme hoert man sie nur selten quaengeln. Die
Frauen haben hier das Wortrecht ueber ihre Maenner, tagsueber bilden sich
Geschlechtergruppen, da bleiben nur die Nachtstunden, um zusammenzurutschen.
Als Schmuck gelten bei ihnen mit Gold- oder Silberdraht eingefasste
Schneidezaehne. Dazu dient diese Massnahme auch als Zahnschutz. Die Preise fuer Fruechte und
Gemuese sind saisonbedingt teilweise so niedrig, dass ich manchmal einen roten
Kopf bekommen moechte. Aber man mag die Speisen hier sowieso lieber fettig und
suess, viele Leute im Land erkranken spaeter an Diabetes, haben keinen Schimmer
von gesunder Ernaehrung. Schon am Morgen servieren die Frauen auf den
Dorfplaetzen Fleischsuppen und immerzu Huhn, gekocht oder fritiert, dass einem
schon glatt Federn wachsen wollen.
Die LKW-
Fahrer haben saemtlich die Backen voll mit Kokablaettern, gegen Hunger und
Muedigkeit. Das ist hier die Volksdroge Nummer Eins, die Indiofrauen verkaufen
das Gruenzeug ganz legal auf dem Markt, das eigentliche Kokain, war zumindest
frueher ein grosser illegaler Exportschlager, dem die Stadt Santa Cruz ihren
Reichtum und den spaeteren wirtschaftlichen Boom zu verdanken hat. 1970 gerade
mal zehntausend Einwohner, zaehlt die Stadt heute mehr als eine Million. Bald
bekomme ich ein Beutelchen voll Blaetter geschenkt, probiere es nur einmal,
kann der Sache nicht viel abgewinnen, viele Indios stopfen sich dagegen gleich
nach dem Aufstehen die Backen voll, grinsen mich mit ihren gruenen Zaehnen an,
sind eindeutig abhaengig davon, aber dieser Begriff existiert nicht in ihrem
Wortschatz. Selbst die Busfahrer setzen sich so kauend und saugend zehn und
mehr Stunden hinters Steuer, ihre Menschenfracht durchs Land bewegend.
Unterwegs
rennen die Kinder manchmal vor mit weg, das passiert bezeichnender Weise oft an
Dorfschulen, ich die Lehrer dann frage, was sie ihren Zoeglingen ueberhaupt
beibringen wuerden. Aber die Kleineren im Vorschulalter sind in ihrem
Spieltrieb zu mir oft umwerfend zutraulich, bereiten mir taegliche
Spassportionen. Unvergesslich bleibt auch der Eindruck, als ich beim
abendlichen Dorfstopp auf der Busrueckfahrt nach Santa Cruz aus dem Fenster
schaue, einige Kinder mich wiedererkennend zu mir rennen, halb schuechtern die
Fuesse verdrehend mich beim Namen begruessen und mich fragen, ob ich auch
wiederkomme. Kinder zu haben, ist hier ganz selbstverstaendlich, das Land hat
mit ueber zwei Prozent eine der hoechsten Wachstumsraten der Welt. Dadurch, dass sich die Eltern hier, an
westlicher Welt gemessen eher etwas weniger um sie kuemmern, entwickeln sie
schon frueh erstaunliche Reife, nehmen sich gegenseitig an die Hand und ich bin
immerzu beeindruckt, wie klar und offen sie mich befragen, wie kleine Erwachsene,
wie wenig sie herumjammern. Wenn ich dabei an Spielplaetze in Deutschland
denke, wo auf ein Kind mindestens ein Elternteil kommt, sie mit der Angst der
Erwachsenen auf jedem Schritt beobachtet werden, was sie in ihrer freien
Entfaltung behindert, so stelle ich fest, die Kiddies hierzulande sind den
unseren haeufig um Einiges voraus. Bis spaetestens die Schulzeit anfaengt, sie
hier ganz abgesehen vom Lehrstoff allein 500 bis 600 Stunden weniger pro Jahr
unterrichtet werden, als in Deutschland, wie mir ein Freund, Berliner und
ehemaliger Taxifahrer, nun seid 10 Jahren in Santa Cruz lebend, neben anderem
Hoerenswerten erzaehlte.
Die Armut
ist fuer mich Weissen hier wieder bedrueckender, als in anderen Laendern. Und
wieder nehme ich mir vor nicht mehr zu klagen, zu stoenen ueber
Unwesentlichkeiten Man hungert zwar nicht, nur in Afrika hungert man, nur in
Westafrika traf ich die Kinder mit Wasserbaeuchen, hilflos, laechelnd,
schuldlos. Aber viele Leute hier haben auf dem zweiten Blick einen koerperlichen
Defekt, aus Mangel an Aerzten und Medizin und wiederum aus Unwissenheit, die
Kinder oft vor Schmutz starrend, allerorts schlechte sanitaere Einrichtungen.
Auch komme ich wieder durch solche Gegenden wo es scheint, Plastiktueten
wuerden hier wachsen, so hat sie der Wind ueber die Felder verteilt,
Muellentsorgung gibt es nur in den Staedten, achtlos lassen die meisten ihren
Kram auf Schritt und Tritt neben sich fallen, auch die Strassengraeben sind
voll davon, Umweltbewusstsein scheint ein luxerioeser Gedanke zu sein, den sich
nur die Reichen und Gebildeten leisten koennen. In den Staedten verdient der
Durchschnitt etwa sechzig bis achtzig Euro im Monat, davon ein Drittel allein
fuer den taeglichen Transport in den unzaehligen Minibussen draufgeht. In den
laendlichen Komunen gibt es noch viel weniger Geldfluktuation.
Bald habe
ich mein Rad auch bis Potosi gebracht, Stunden spaeter bekomme ich
ueberraschender Weise schon wieder liebenswerten Besuch. Auf 4070 Metern wurde
die hoechste Stadt der Welt in dieser Groesse, von den Spaniern vor 500 Jahren
wegen der Silbervorkommen angelegt. Nur noch wenig Erz wird geschuerft, die
Minen sind privatisiert worden. Ausschliesslich Indios aus abgelegenen Gebieten
arbeiten unter mittelalterlichen Bedingungen noch im Berg, mit Hacke, Hammer,
Meissel und Sprengstoff auf der Suche nach einem reichen Floez, in der Hoffnung
aufs grosse Geld, um sich schick einzukleiden und vom Fernsehen verblendet, so
zu leben, wie die Figuren hinter der Mattscheibe. Fuer mich sind es Gluecksritter,
die eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 Jahren dort unter Tage in
Kauf nehmen. Nicht genug mit ihrem Elend, trennen sie das Silber oft noch mit
Quecksilber, der Rio Pilcomayo, der von hier oben ins Tal fliesst, ist tot, es
gibt eine erschreckend hohe Krebssterblichkeit in der Bevoelkerung entlang des
Flusses. Einmal mehr zeigt sich die Ruecksichtslosigkeit der Mitmenschen, armer
und verarmender Laender, wo jeder aus Selbstsucht zum Verfall beitraegt. Die
Minenarbeiter zu besichtigen, ist mittlerweile eine touristische Attraktion,
auf solch einer Tour haelt der Gelaendewagen erst noch auf einem Markt, wo man
Kokablaetter, Dynamit, Alkohol oder auch Fruechte fuer die Bergleute als
Gastgeschenk kauft. Die sind laengst daran gewoehnt, fuehlen sich bestaetigt
bei ihrer Arbeit, werden sich deshalb auch weiterhin in den Stumpfsinn kauen,
ihr und anderer Leben verkuerzend, anstatt ein zwar armes, aber gesuenderes und
helleres Leben eines Landarbeiters zu fuehren.
Mitleid
habe ich nur mit Kindern, denen man den Anfang des Weges zeigen sollte, die das
Leben erlernen, indem sie Erwachsene in ihren Handlungen imitieren.
Wir fahren
deshalb gleich auf organisierter Tour zum "Salar de Uyuni", dem
groessten Salzsee der Welt. Diese weisse Wueste begruesst uns im schoensten
Wetter, unter stahlblauem Himmel, die Sonnenbrille ist ein Muss bei diesem
blendenen Licht auf 3660 Metern Hoehe. Jeden Besucher fuehrt man zuerst zur
"Isla de Pescado" die nur von Weitem wie ein Fisch aussieht, ihre
bizarre Schoenheit durch die riesigen Kakteen hat, von denen einige ueber
tausend Jahre lang hier schon herumstehen. Vor allem aber trifft man wieder auf
beglueckende Stille, die immer Hand in Hand mit der Weite geht. Am naechsten
Tag besuchen wir eine Mumienstaette, die gesamte Familie dort hat die Knie an
die Brust gezogen, so hocken sie seit 700 Jahren dort, was auf eine
Intoxikation durch giftige Gase des nahen Vulkans zurueckzufuehren sein
koennte. Dann wandern wir noch auf etwa 4800 Meter zu einem Aussichtspunkt
dieses Berges, Lamas grasen friedlich zwischen kilomterlangen Steinmauern,
deren Aufbau Generationen gebraucht haben muss. Zurueck in Uyuni feiert der Ort
am Abend sein Gruendungsjubileum, bei minus fuenfzehn Grad auf dem Zentralplatz
merken wir den Alkohol erst am naechsten Morgen. Auf der halben Busfahrt ist
uns durch das staendige Schlingern entlang tiefer Schluchten schlecht bis zum
Ergeben, dann geht's aber wieder steil aufwaerts. Der Bus hat noch eine Panne,
da sich die vierte von ehemals sieben Muttern vom Zwillingsrad der Hinterachse
loeste, die Achse zu schlagen anfaengt. Beim Aussteigen zeige ich dem Fahrer
noch, wie sich eine Mutter am Vorderrad mit der Hand drehen laesst. Das
Ersatzteil loest man nach laengeren Versuchen vom Hinterrad eines
entgegenkommenden Busses der gleichen Gesellschaft. Solch eine Mutter kostet
etwa dreissig Eurocent. Nach drei Stunden duerfen wir dann weiter, ganz
selbstverstaendlich hoeren die sechsunddreissig zahlenden Fahrgaeste keinerlei
Entschuldigung vom Fahrerteam und ihrer Unverfrorenheit, anderer Leben durch
solche Nachlaessigkeiten zu gefaehrden.
Zurueck in
Potosi trennen wir uns wieder und ich fahre nun nicht nochmal mit dem Rad zum
Salar, obwohl dies ja zum Hochlicht eines Suedamerikaradlers gehoert, nehme die
Asphaltstrasse nach La Paz, und wenigstens ist es steil und kalt, bis ich auf
der Hochebene zwischen 3800 und 4100 Metern gegen den Wind fahre, einmal noch
schoen eingeregnet werde. Vor ein paar Jahren entdeckten sie groessere
Erdgasvorkommen im Land, aber wie immer ist man uneins darueber, es gegen
Devisen auszufuehren, um hier Industrie aufzubauen, oder eben alles
einzubehalten. Die Mehrheit der Indios ist fuer das Letztere, sie stellen sich
vor, gar nichts dafuer zu bezahlen, weil es ja schliesslich ihr eigener Rohstoff
sei. Seit Wochen blockieren sie staendig irgendwelche Hauptrouten, im Fernsehen
sieht man dann vor Ort aufgebrachte Maenner, wie immer mit prallgefuellten
Backen voller Kokablaetter in die Kamera hineinschimpfen gegen jegliche
Ausfuhr, dabei braucht das Land dringend Geld, die wenigsten zahlen hier
Steuern. Aber die an moderner Bildung uninteressierten Indios sind einfach
gegen alles, was der neue Praesident Carlos Mesa, vertrauenserweckend durch
seine ehemalige Taetigkeit als Journalist, vorschlaegt und haben dabei keine
Alternativen vorzuweisen. Es wurde ein Referendum bestimmt, was fuenf Fragen um
die Zukunft des Gases enthaelt. Am Wahltag habe ich autofreie Strasse, weil
alle abstimmen sollen, ist der Verkehr unterbunden. Ganz froh bin ich, dass immerhin
65 Prozent abstimmten, vier Anfragen befuerwortet wurden. Es ist ein langer Weg
fuer Bolivien, aber wie es auch fuer andere Laender gilt, trifft die Regierung
an den jeweiligen Misstaenden nie die ganze Schuld, ein Umdenken, muss immer
zuerst in den Koepfen der Einzelnen stattfinden - gegen die Bevormundung - das
geht aber nur im Bewusstsein einer Nation. Dieses fehlt nicht nur Bolivien.
Nach sieben
Radtagen schaue ich dann in das eindrucksvolle Tal der Hauptstadt La Paz,
vierhundert Meter tiefer als das Altiplano liegt es vor den kalten Winden
geschuetzt auf etwa 3700 Metern. Dann freue ich mich, Joachim nach unserem
letzten misslichen Abschied wiederzusehen, er hat durch den Schweizer Christian
ein billiges Hotel gefunden, indem wir drei die einzigen Gaeste sind. Vom
fuenften Stock schaue ich hier auf die Marineschule des Landes, wie man dem
Nachwuchs dort das Gehorchen durch verschiedene Uebungen beibringt, morgens
falle ich um acht zur Fahnenhissung aus dem Bett, werde mit Pauken und
Trompeten geweckt, wenn das Orchester die Hymne spielt, begleitet vom
brummelnden Soldatenchor. Zur anderen Seite des Gebaeudes blickt man auf die
Hochhaeuser von "downtown", links im Hintergrund gruesst der
schneebedeckte "Illimani" mit seinen 6439 Metern. Hier bremst man
auch wieder fuer Passanten, auch wird man nicht immer unmoeglich durch andere
Wichtigtuer beim Befragen des Verkaeufers unterbrochen. Dabei erinnere ich mich
an eine Situation in Sucre, wie mir so ein kleiner Fettkloss im Laden wieder
ins Wort faellt, ich fahre ihn an, was das soll, er blaeht sich luftschnappend
auf und meint empoert, er sei ja Anwalt. Ein anderer dort antwortet mir einmal
frech, das sei schliesslich sein Land, darauf sag ich ihm, Leute wie er haetten
Schuld daran, dass hier so wenig funktioniert. Es sind ausschliesslich Typen in
ihrem Machowahn, mit denen ich eine zeitlang taeglich anecke. Augenfunkelnd
versichere ich ihnen immer, ich sei der groessere Macho, denn darauf beruht ihr
dummes Spiel, sich immer vor anderen beweisen zu wollen.
Die vielen
Stufen und steilen Strassen von La Paz, bringen mich die erste Zeit haeufig
ausser Atem. An den Maerkten entlang der Strassen hocken die Indiofrauen, nun
Aymara sprechend, vor ihren Bergen aus Gemuese und Obst, an manchen Ecken
verkaufen sie skurile Sachen wie getrocknete Lamafoeten, Kraeuter, spezielle
Weine und Kerzengedecke als Opfergaben fuer "Pachamama", der Mutter
Erde. An Festtagen tanzen Maedels - und natuerlich auch junge Maenner - in
goldbestickten Kostuemen, vom Blasorchester begleitet bis zur Erschoepfung
durch die Strassen, ihr Laecheln - eine Augenweide! Bei allen Misstaenden hier
erhalten sie sich den Frohsinn, die Lebensfreude, eine emotional Gabe! Selbst
ein alter Bettler, die hier ueberall zum Strassenbild gehoeren, laechelt mich
an seiner Ecke bei meinem taeglichen Rundgang immer aus Kinderaugen an. Am
dritten Abend verabschiede ich mich mal wieder von Joachim, auf dass man sich
immer wieder gesund wiedersehen moege, die eher seltene Idee einer globalen
Runde verbindet uns mehr als mit anderen Reisenden.
Dann fahre
ich nochmal in siebzehn Stunden im Nachtbus zu Delia zurueck, nach einer Woche
bin ich wieder in La Paz, bevor ich spaeter erneut den Weg nach Santa Cruz
nehme. Ganz raus aus dem alten Rhythmus haben wir uns beide gebracht, mit ihr
bin ich nicht nur in eine Familie integriert worden, sondern habe ein Land mal
viel genauer kennen gelernt. Doch meine Rad wartet still, und ich habe seit ein
paar Jahren dieses starke Gefuehl, angefangene Dinge auch zu Ende bringen zu
wollen.
Bei allem
Leid neben der hingenommenen Freude bin ich aber sehr dankbar, wie das Herz,
die Nieren oder welchem Organ man auch immer Extrafunktionen nachsagt, doch
immer voller werden von Eindruecken und Lernprozessen. Sie zeigt mir, zu lieben,
ist gar nicht schwer, ist eine zu endeckende Gabe! Wie anders ist diese Welt
hier doch, emotionaler, irrationaler, gerade in diesen Dingen unkompliziert.
Warum sich die Maedels in unseren Breiten so schwer damit tun, “Ich liebe
Dich.”zu sagen, ich kann es nicht verstehen, dabei ist es an der weiblichen
Seite, diese auszudruecken, erleichternd fuer den einen, wie entwaffnend fuer
den anderen. Aber leider sind die Rollen oft schon gaenzlich vertauscht in
unserer so selbstgelobten Welt, dass keiner so recht mehr was mit seinen
Gefuehlen anzufangen weiss.
Nun bin ich
zurueck in La Paz und stelle fest, das war mein schwerster Aufbruch, seit ich
von zu Hause losfuhr. Will mich jetzt stark machen fuer meine Weiterfahrt, mich
wieder konzentrieren.
Wenn alles
Schoene rund ist, dann kommt auch alles wieder und im Abschied wartet schon das
Wiedersehen.
Lieber
Leser sei bedankt, bis spaeter, Matthias.