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Lieber Lesen!
Silvester verbrachte ich in nicht allzu vertrauter Zweisamkeit mit einem einnehmenden Wesen. Lieber hätte ich die ganze Neujahrsnacht im Wohnheim der nahe gelegenen Technischen Universität begangen, das Martin, zu Besuch aus Deutschland, für zwei Wochen mit einem ihm einnehmenden Wesen beherbergte. Am Nachmittag kaufte Irina (Name vom Verfasser womöglich geändert) noch Essen auf dem Markt, soviel, als erwartete sie insgeheim den Besuch ihrer ganzen Sippschaft, sie trug meine Börse, ich die Taschen. Bis spät abends bereitete sie Salate, doch vor Mitternacht dürfe man davon nichts essen, so bestimme es ihre Auffassung von Tradition. Nur funktioniert der Biorhythmus der meisten Menschen eben so, daß man, sofern der Organismus nicht an Nachtwache gewöhnt oder der Magen schon ein Woche entwöhnt wurde, zwei Uhr morgens keinen Appetit mehr verspürt.
Den Himmel über Irkutsk erhellte dann ein kleines, wohlwollendes Feuerwerk, welches dennoch die dagebliebenen Studentinnen im Angesicht des erhabensten Momentes des Jahres in feines Verzücken versetzte. Im Stillen tröste ich mich bei solch mittelmäßig zelebrierten Feiertagen immer noch erfolgreich damit, es hätte ja alles seinen Ausgleich im Leben, so würden sicherlich auch noch bis zur Ohnmacht ausgelassene Feiern folgen. Denn - das lernen wir von der mexikanischen Fiesta - der eigentliche Sinn eines Volksfestes besteht darin, in der Masse so aufzugehen, derart unterzugehen, sein "Ich" zu verlieren, daß das uns bedrückende Raum-Zeit-Gefüge für einen Augenblick vor Bewunderung stillsteht und dabei einen versöhnenden Ausblick aus unserer irdisch begrenzten Lage gewährt. Dafür und für all die anderen Pläne, verpatzte erste Chancen und dergleichen müßte ich komplizierten Erwägungen eitler Momente nach etwa 157 Jahre alt werden, denn man kann sich im Leben leider nicht teilen, das ergäbe bloß zwei oder mehrere Hälften, die separiert noch ungeschickter wären, als das Ganze sowieso schon wirkt .
Natürlich würde ich mich auch damit abfinden können, die restlichen Ideen im nächsten Leben zu verwirklichen, wenn ich nicht so sicher wäre, der gequälten Seele würde der Erinnerungschip gelöscht, auf die große Festplatte übertragen, bevor man wieder ins Irdische zurück katapultiert wird, vielleicht eine kleine Stufe gelassener dann, zum Beispiel als Südseeinsulaner. Im Erinnerungsvermögen liegen ja ungeahnte Möglichkeiten, am Zustand des Glücks dauerhaft festzuhalten. Einem Goldfisch beispielsweise wird nachgesagt, eine Erinnerung von einer Glasrunde zu besitzen, daß ihm nie langweilig, statt dessen ständig alles neu und interessant erscheine. Ist es wohl besser, gar nichts zu planen und seine Zeit so boshaft verschwenderisch wie möglich zu gestalten? Verschwendung, ein durchaus ökonomisches Prinzip, zieht ja bekanntlich Fülle an! Dostojewski, läßt gar eine Figur, von denen jede seine Rechtfertigung besitzt, sagen: "Das beste, was man machen kann, ist nichts zu machen."
Der "Dreikönigstag" ist der größte Feiertag für die orthodoxe Kirche Rußlands. Man begeht ihn im familiären Kreis; für den Außenstehenden dagegen verstreicht er wie jeder andere Tag. Die gerühmte russische Gemütlichkeit findet ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt, zumindest seit man sich nach der Wende in seiner Verschiedenheit erkannte. Im Kontrast dazu zeigt sich das öffentliche Leben größerer Städte im hektischen Geschiebe, mit Trinkergestalten vor oder zur Winterzeit in jeden Lebensmittelladen.
Doch selbst daran, wie man bei minus 20 Grad sein Bier im Freien noch genießen kann, störte sich meine Wahrnehmung nach einiger Zeit nicht mehr. Dank "Glasnost", was soviel wie "Öffnung" bedeutet, wird in den urbanen Gebieten zusehends mehr Bier als Wodka getrunken. "Hopfen und Malz - Gott erhalt´s!" Wer den Gerstensaft nur wegen des Geschmacks trinkt, kann ihn in Glasflaschen bis zu einem halben Liter erwerben, selbst bekannte ausländische Marken haben es in die sibirischen Regale geschafft, für den Durst gibt es einheimische Sorten in Plastikflaschen bis zu fünf Litern, welche man der minderen Qualität wegen umgangssprachlich auch als "Urin" bezeichnet.
Die Trinkertradition spaltet die Bevölkerung in zwei Teile: Entweder trinkt man viel und täglich oder aber gar nicht. Ich habe nun keine Lust, mich täglich zu berauschen, noch dazu mit solchen immer bereiten Gestalten, aber das andere Extrem lockt mich ebenso wenig, zumal dessen Vertreter häufig auch noch sehr karriereillusioniert wirken.
Weiter fällt mir immer eindringlicher auf, daß ich hier mit 34 Jahren keinen Altersgenossen mehr begegne, weil diese im wie erwähnt kurzlebigeren Russland längst verheiratet sind, die gleichen Wege ablaufen und die Abende in ihren Wohnungen verbringen. Stattdessen sehe ich mich umringt von Studenten, die im Schnitt etwa 13 Jahre jünger sind als ich.
Die haben ein ganz anderes Weltbild aus digitalen Bildern konstruiert, von den Medien derart vorgekaut, daß es sich babygleich, unmündigengerecht schlucken läßt. Der Besucher, vorzugsweise weißer Rasse, hat in Russland eine großartige Zeit, solange er sich nicht kritisch zum dortigen System äußert, wie er es sonst gewohnt ist. Dann nämlich läßt man ihn fallen, auf daß er sich wieder seiner Situation eines geduldeten Zuschauers erinnere. Über lange Zeit von der restlichen Welt isoliert, hat sich nicht nur eine außerordentlich komplexe Sprache entwickelt, welche wegen ihrer Ausdrucksvielfalt so große Dichter und Denker in den vergangenen zwei Jahrhunderte hervorbrachte, es bildete sich auch ein Gesellschaftssystem heraus, das bis heute klare Trennlinien zwischen den Bevölkerungsschichten markiert. Der heimliche Zar Putin, bezeichnet diesen Status Quo auch unverholen ironisch als "Autonome Demokratie". Russland - ein Rätsel: Es ist nicht europäisch, nicht asiatisch, läßt sich nicht einordnen, ist nach innen ein stolzes Volk geblieben, aber nach außen als Folge der rasanten Veränderungen käuflich geworden.
Am siebenten Januar sind die gesetzlichen Feiertage vorüber, ich konnte es kaum erwarten, die Stadt füllt sich, Ämter und Unis öffnen endlich wieder ihre Pforten.
Mußte ich für diese seltsame Registrierung im Dezember noch umgerechnet 50 Euro zahlen, so bringt das neue Jahr gleich eine Gesetzesänderung, welche nun keine mehr erfordert, so schnell ändern sich die Reglements in der immer noch viel zu komplizierten Bürokratie aus Sowjetnachlaß.
Trotz dieses teuren Zettels will man mich nicht an den Unis, wie es mir als Voraussetzung im alten Jahr erklärt wurde. Aber ich könne als Gaststudent für 250 Euro im Monat 40 Stunden, also zweimal 45 Minuten allmorgentlich dort Russischunterricht nehmen.
Auf dieses Angebot kann man ohne weitere Überlegungen eingehen, wenn man beispielsweise als Sendungsbeauftragter einer amerikanischen Freikirche nach Irkutsk geschickt wird, die zu den anfallenden Lebenskosten auch noch eine nach westlichem Maßstab eingerichtete Wohnung stellt. Ich konnte mich davon überzeugen und ein Stein fiel mir vom Herzen, als sich die Wohnungstür von innen wieder schloß, polterte eine halbe Treppe tiefer vor die Füße einiger Mädchen, die dort in unschuldigster Menschlichkeit ein paar Biere tranken.
Um meine Zeit zu überbrücken, wende ich mich statt dessen an private Sprachschulen, bei denen ich mich als Deutschaushilfe bewerbe. Nun will man aber auch hier nur noch amerikanisch lernen, die erste Schule weist mich ab, die zweite erklärt ihr Interesse an mir, ich solle jeder der 45 Klassen von meiner Reise berichten und sie dabei zum Dialog motivieren - in englischer Sprache! So beschäftige ich mich paradoxerweise die restliche Dauer meines Stadtaufenthaltes damit, mein Englisch aufzubessern, anstatt russisch zu lernen.
Wie so oft mußte ich mir im Vorstellungsgespräch wieder einmal anhören, ich sei ein seltener Fall, da ich keine dokumentierte Bildung vorweisen könne. Die leitende Sekretärin wies darauf hin, 90 Prozent aller Russen wären hochqualifiziert. Nur wie mißt sich Bildung am Beispiel Rußlands, wo mindestens 30 Prozent dieser Spezialisten dem Suff ergeben sind, wo man auf Äußerlichkeiten bedacht ist, mich auf der Straße in meiner Sommerhose und Baumwollbeutel am Handgelenk abmustert, bis ich mich gezwungen sehe, mir eine Jeanshose für den Stadtaufenthalt zuzulegen, nur damit man ernst genommen wird, um sie danach zurückzulassen, denn dieses derbe Material ist einfach zu schwer für mein Reisegepäck. Der Russe ist ja sehr auf sein Erscheinungsbild bedacht, die Frauen gehen niemals ungeschminkt und in Schale geworfen aus dem Haus, tippeln jahrüber auf hohen Hacken herum, im Winter in ihr schwer erspartes Pelzchen gehüllt, so erwecken sie den Eindruck von "einer Million Dollar", was ihrer Suche nach solch einem Geldbaron jeglichen Alters Ausdruck verleiht. Zu hause laufen die allermeisten von ihnen in Filzpantoffeln und Morgenrock herum, essen ihre Arme-Leute-Bratkartoffeln und trinken Schwarzen Tee dazu. Und wer es sich leisten kann, rast wie ein Ochse im Auto durch die Straßen, den vermeintlichen Pöbel zu Fuß mit seiner Hupe verachtend.
Natürlich gibt es mit aller gebührender Nachsicht ihrer jüngeren Geschichte Erklärungen für dieses Verhalten, und doch drängt sich mir als jahrelanger Beobachter in meiner Position als Reisender immer wieder die Frage auf, für was man in dieser materiell bewerteten Welt noch eine fundierte Bildung braucht?
Betriebswirtschaftslehrer K. tat schon recht daran, damals in seinen Stunden einen Bogen um meinen Platz zu machen, als mein Sitzenbleiben für ihn schon beschlossene Sache war. Wenn man auf diesem Gebiet keinen Eifer entwickelt oder wenigstens Interesse zeigt, sieht man es unwillkürlich von allen seinen vielschichtigen, durchaus negativen Seiten. Wohin die bestehende Wirtschaftstheorie die Menschheit mit ihren Prognosen und Modellen gebracht, zeigt sich immer fataler. Der Mensch, das Individuum schlechthin, verhält sich nicht vorausschaubar, sondern durch seinen gesamten Alltag irrational, denn er ist unbewußt bestrebt, an seiner eigenen Geschichte zu wirken.
Ich weiß leider bis zum heutigen Tage noch nicht, was ich einmal werden wollte und bin mir voll bewußt, wie lächerlich das klingt. Ja, hier ist ein Dilettant am Werk, ein überzeugter Laie des Lebens! Nichts mache ich so falsch, daß es doch nicht seiner Richtigkeit entbehrt, die sich erst am Ende zeigt, in der Rolle, die einem zukam in der göttlichen Komödie. Mit vier Jahren wollte ich Feuerlöscher werden, mit sechs fand ich, ich taugte zum Tierarzt, so wechselten die Vorstellungen immer häufiger, wurden verwirrender, einzig aus dem ängstlichen Grunde, mich nicht entscheiden zu können. Es ist schon ein gewaltsamer Eingriff an einem Kind, welches alles Geschehen schrecklich ernst nimmt, wenn die Eltern als nächste Institution der Gesellschaft wie die Verwandten bei gegenseitigen Besuchen aus nichts als Amüsement heraus fragen, was es denn einmal werden möchte und später immer eindringlicher werden, irgendwann müsse es sich doch einmal entscheiden.
Daß Reisen nun Licht in meine Ziellosigkeit gebracht hat, bezweifle ich, denn die Welt zeigt sich dabei in all ihrer Komplexität, so lernt man mühsam, nicht zu bewerten, man fängt an, sie in sich aufzunehmen, schließlich ist man doch ein Teil von ihr. Eines Tages wird dem Handlungsreisenden bewußt, man ist es nicht mehr selber, der die Reise macht, vielmehr macht einen die Reise. Mit all ihren Augenblicken, vermeintlich begangenen Fehlern, Warten und Hetzen schickt sie mich hierhin und dorthin, läßt mich auf diesen und jenen Menschen treffen, der mich immer wieder mit mir selbst konfrontiert, daß ich am Reiseende meines Lebens, wohl froh behaupten wolle, es war alles gut so, es hat mein Herz gefüllt, hat mich zum Denken angeregt, es hat mich bewegt.
Der größte Effekt am Reisen besteht aber darin, für die Dauer der Unternehmung erfolgreich jeder gesellschaftlichen Manipulation zu entgehen. Mark Twain´ s Plädoyer auf Reisen zu gehen, besticht durch seine Schlußfolgerung, die meisten Leute würden zu hause sterben.
Kleinere Wohnungen für kurze Zeit anzumieten, erweist sich als unmöglich oder sie sind so luxuriös eingerichtet, wie es sich nur Geschäftsleute leisten können. Über eine Agentur finde ich nach mehreren Versuchen ein kleines Zimmer in einer 1,5 -Zimmer-Wohnung, dessen Wohnzimmer von drei 19jährigen Mädchen bewohnt wird. Die sind so verzweifelt, die monatliche Miete aufzutreiben, daß sie mich ohne jegliche Einwände einziehen lassen. Dieses beengte Wohnverhältnis wird mir erst beim Einzug bewußt, weil ich vermutete, sie würden noch ein Nebenzimmer haben, was sich aber nur als Abstellkammer herausstellte.
Zwanzig Zentimeter neben meiner Tür ohne Klinke arbeitet der Fernseher auf fünf Kanälen von mittags bis spät in die Nacht. Stundenlang schauen sie sich die täglichen Zusammenfassungen von "Haus 2" an, der russischen Version von "Big Brother". Nachdem ich ihnen zwei Wochen Zeit gegeben habe, sich an mich zu gewöhnen, dringe ich dann darauf, ab zwei Uhr nachts die Kiste auf Flüsterlautstärke zu drehen. Die Idee hinter der Zimmersuche, einen stillen Platz zum Berichtschreiben zu finden, muß ich deswegen bald wieder verwerfen. Sogar einen Rechner haben sie, ohne Modem, der wird ausschließlich zum "Pacience"-Spielen benutzt und zum Abspielen einer sich in kurzem Zeitraum immer wiederholenden Abfolge der gängigsten Schlager. Alle drei kommen vom Land und wollen hier ihre gerade erst erworbene Freiheit ausleben, weshalb die zwei Studentinnen eben mit dem dritten Mädchen eine Wohnung bezogen, anstatt sich ein Vier-Bett-Zimmer im Studentenwohnheim zu teilen, das 22 Uhr wochentags, 23 Uhr an den Wochenenden schließt, jeder Eintretende von der Pförtnerin gemustert wird und Besucher ein sie ausweisendes Dokument für die Dauer ihres Aufenthalt zurücklassen müssen.
Eine Zeit lang schminken sie sich unter der Woche spätabends, bewerfen sich mit Garderobe und verschwinden nach Mitternacht für eine knappe Stunde, daß es mir bei meinen Vorstellungen graut. Einmal sehe ich sie auf meinem Heimweg vom Internetladen aus einer schwarzen Limousine steigen, sichtlich unwohl ist ihnen, sie hierbei ertappt zu haben. Solche Unternehmungen stellen sich zum Glück bald ein, die eine bleibt abends meist zu Hause, sie hätte ja einen Freund in Nowosibirsk, die andere findet einen Geländewagen mit Fahrer. Die Dritte kümmert mich wenig, sie schwingt häufig lästerliche Reden, um die anderen zwei bei Laune zu halten, denn drei - sind eben einer zuviel.
Da ich mir sicher bin, sie tuschele dabei auch über mich, sagte ich ihr eines Tages unter vier Augen und Zuhilfenahme des Wörterbuchs, sie sei falsch, seitdem schnitt sie mich. Oh, es kann ein erhabenes Gefühl vermitteln, einen Feind, wenigstens einen zu wähnen! Doch bei genauerer Betrachtung bleibt dies nur eine Illusion, denn die Kriterien für einen wahren Feind sind derart hoch gesteckt, daß aus solchem Bild unwillkürlich Sympathie erwächst, in ihm schon wieder den wahren Freund zu entdecken. Feind ist man sich nur selber und haßt das am Anderen, was man vor einigen Verwandlungen noch an sich selbst entdeckte. Nur deshalb zog der Krieger in die Schlacht: Er fand sich auf dem Feld mit Gleichgesinnten, Mann gegen Mann, er mordete nicht, er erlöste und kostete die Bitterkeit aus, zu überleben, seine Einsamkeit erwuchs zur Sehnsucht, das war der Preis des Ruhmes. Ein Spiel, dessen Zweck es war, die Angst in ihren wechselnden Erscheinungen zu besiegen.
Meine 135 minütige Lektion findet meistens erst abends in verschiedenen zentral gelegenen Schulen statt, danach verschwinde ich lieber ins besagte Internetcafe, um die Drei nicht beim Fernsehstarren zu stören, wie auch ich mich nicht daran stören will. Die Gruppen bestehen aus fünf bis fünfzehn Erwachsenen, die mir viel Freude bereiten, wenn man mich mit Fragen überhäuft, von sich erzählt und mir Mühe schaffen, da keine Diskussion aufkommen will, die Zeit dahin schleicht, bis ich schließlich dem Lehrbuch folge. Je nachdem gehe ich beschwingt nach hause oder kann es kaum erwarten, endlich wieder im Sattel zu sitzen.
Unter den Schülern befinden sich auch einige ausgesprochene Schönheiten, von denen die eine oder andere vor versammelter Klasse äußert, sie wolle mich kennenlernen oder sogar mit mir mitfahren. Im Innersten aufgewühlt fällt es mir dann schwer, über derlei Aussagen hinweg zu gehen, als ob sie nicht gefallen wären, nach einer Weile bin ich mir aber sicher, die jungen Dinger wollten ja doch nur ihre Wirkung auf mich ausprobieren. Einsichten dieser Art ringen dem Altern einen positiven Wert ab.
Mit etwa zehn Euro pro Unterrichtseinheit werde ich entlohnt, wie die anderen studierten Lehrkräfte. Augenscheinlich ist deswegen keiner neidisch auf mich, man behandelt mich freundlich, ja familiär im Schulbüro. Als meine Zeit dort vorüber ist, muß ich unter Dritten in die Hand versprechen, wiederzukommen. Man wolle mich dann ins Sommerlager der Sprachschule auf der Olkon-Insel im Baikalsee schicken, denn die schönste Jahreszeit hätte ich schließlich verpaßt. Sooft mußte ich schon versprechen, zurückzukommen, daß die Einlösung dieser Versprecher eine weitere Weltreise ergeben würde.
An einem Wochenende im Februar nehme ich den Bus zum 70 Kilometer entfernten Baikalsee. Er ist nun zugefroren, aber das Eis am Ufer nicht mächtiger als 30 Zentimeter und sicherlich noch dünner und brüchiger in der Mitte des hier 80 Kilometer breiten Sees. Der Winter sei milder als erwartet, sagt man mir, auch würden sich draußen gefährliche Risse durch aufgetürmte Schollen bilden, also verwerfe ich endgültig die Idee, meinen Rückweg über den See abzukürzen.
Eisiger Wind läßt bei den Spaziergängen am Ufer die Nase alsbald burratinorot anlaufen - mein Souvenir aus den Radfahrtagen in der Taiga: Drei Wochen Tagestemperaturen mit etwa minus 12 bis minus 15 Grad Celsius, zwei Wochen um minus 20 Grad, eine Woche sogar bei minus 30 Grad. Der gesamte Winter in der Gegend ist wärmer, als es der November in Jakutien war.
Im Museum wird dem Kurzbesucher dann die Mystik des Sees veranschaulicht. Mit bis zu 1637 Metern ist er nicht nur der tiefste, sondern mit 25 Millionen Jahren auch der älteste Binnensee der Erde. Etwa 1600 endemische Spezies leben in ihm. Die meisten Anwohner haben nie schwimmen gelernt, da sich das Wasser durch seine Tiefe selbst im Sommer nur wenig erwärmt und somit vom ausgiebigen Baden abhält.
Weiter erfährt man vom Bau der tunnelreichen Eisenbahnlinie und dem damaligen Fährtransport zur Anschlußstrecke über den See Deutschsprachige Besucher können sich in einigen Reisebüros Irkutsks nun, einen informativen Film zum Bauwerk ansehen , unterlegt mit meiner Stimme - eine kleine Nebentätigkeit, zu der mir die Sprachschule verhalf.
Das ganze russische Leben durchzieht ein hilfreiches Band zur Erhaltung der Gemeinschaftlichkeit, gewoben aus Aberglauben und Tradition und dies läßt den Russen am Befremdlichsten von seinen europäischen Nachbarn erscheinen.
Tanja, beispielsweise, zu der meine Ersatzteile geschickt wurden, war am Telefon sehr wortkarg, ja abweisend. Bei meinem Besuch erklärte sie mir, sie hätte gerade ein Kind geboren - für mein Verständnis ein Anlaß zu großer Freude von dem man allen mitteilen will, aber in diesem Fall bekam ich es nicht zu Gesicht, nur der Kinderwagen huschte an mir vorbei. Das wehrlose Baby wolle man mit dieser Maßnahme vor womöglich bösen Blicken schützen. Das pikierte mich ein wenig. Auch einen Monat vor der Niederkunft und dem darauf Folgenden ließe man nur im engsten Familienkreise davon verlauten, damit sich das Kind ungestört entwickeln könne.
Bei Naturvölkern hatte ich so etwas Ähnliches schon gehört: Aufrichtige Besucher würden die Mutter beglückwünschen, wie häßlich das Neugeborene sei, mit dem Nebeneffekt, Desinteresse bei den bösen Geistern auszulösen. Aber im Russland des 21sten Jahrhunderts?
Schockiert war ich in selbiger Plattenbausiedlung bei einem weiteren Besuch vom Anblick eines offenen Kindersarges, der vor dem Aufgang zur Etagenwohnung für zehn Minuten zum öffentlichen Abschiednehmen aufgebahrt wurde, um danach in einem alten, traurigen Bus mit den wenigen Geladenen zum Friedhof zu rollen.
Ende Februar begeht man das sogenannte "Butterfest", dessen Zweck es ist, den Winter zu verabschieden. Eine Woche lang hält man sich an fleischlose Teiggerichte, am letzten Tag, einem Sonntag, entschuldigt man sich bei Freunden und Familie für alle moralischen Übertretungen des vergangenen Jahres.
Man solle nicht in geschlossenen Räumen pfeifen, verwies mich freundlich die Rezeptionistin meines Wohnheims, sonst ginge das Geld aus, darauf konnte ich sowieso bald ein Lied pfeifen und reich wird davon anscheinend auch niemand. Eine junge Frau verschüttete dort einmal in der Küche etwas Salz auf dem Tisch, und ohne auch nur Aufzusehen oder einer Spur des Bedauerns nahm sie sich drei Prisen davon, warf diese über die Schultern und so hatte das Pech das Nachsehen.
Vor Reiseantritt setzt man sich in der Gruppe kurz und verhält sich andächtig still. Noch so vieles mehr wäre zu erwähnen, was ein Fremder in diesem traditionsträchtigen Land besser schnell lernen sollte.
Das fände ich alles sehr bemerkenswert, wenn mir vor allem die jungen Leute nicht ständig auf den Ohren lägen, sie, die Russen, wären die besten und so weiter. So oft habe ich´s auf der Reise gehört, es war immer der Anfang meines Mißfallens, die Vorfreude auf das nächste Land. Sie hätten die größten Öl-und Gasvorkommen der Erde, sämtliche Elemente des Mendelejewschen Periodensystems kämen hier vor, die ganze Welt würde danach lechzen und bald schon wäre Rußland wieder DIE Supermacht. Alles wieder dank der einlullenden Wirkung der Medien. Nur werden auch hier die meisten von diesem Kuchen nichts abbekommen.
In Sachen Pressefreiheit belegt das Land eines der letzten Plätze. In Mexiko hörte ich damals auf meinem Weltempfänger die kleine Notiz, "BBC" und "Deutsche Welle" würden ab 2006 in Rußland nicht mehr ausstrahlen, was dazu führte, mich zum passenden Zeitpunkt dieses nun zum Ballast degradierten Gerätes zu entledigen. Mittlerweile gibt es dort eine zensierte Form dieser scheinbar neutralen Nachrichtenstationen. In Anbetracht der Größe des Landes wird nichts über Umweltverschmutzung geschweige denn Klimawandel verlauten gelassen. Auch hier hält man die Masse dumm und die restliche Welt in seinen romantischen Vorstellungen von Schnee, Bären und Wodkalaune. Sieht man von ihrer robusten Weltraum- und Militärtechnologie einmal ab, gibt es außer ihren Rohstoffexporten praktisch keine einheimischen Produkte, die auf dem Weltmarkt konkurrieren könnten. Die Sowjets hatten ja nur den Hammer und die Sichel in der Flagge, in der DDR-Fahne erfand ein Durchtriebener noch den Zirkel als Symbol der Intelligenz dazu.
Der letzte landesweite Boom war in den 60er und 70er Jahren zu verzeichnen, seitdem ist, je weiter man nach Osten schaut, wenig passiert. Oft fragte ich mich, ob man sich im Aufbau oder Abbruch befindet. Der Trinker entschuldigt sich hierbei, er würde den Wodka (d.h. Wässerchen) so lieben, weil alles sonst öd und grau wäre und nennt ihn "Medizin". Mit "sto (100) Gramm Wodka" - ein geflügeltes Wort - erwacht die russische Seele aus ihrer Melancholie, mit 500 Gramm wird sie übermütig und mit 1000 Gramm verfällt sie wiederum in tiefen Schlaf.
Man wollte mir erklären, im letzten Großen Krieg den Soldaten, vor der Schlacht "sto gramm" ausgeschenkt zu haben, das vertrieb den Hunger und machte mutig, oder ließ zumindest die Angst schwinden, um sodann mit "Hurra"-Gebrüll, abgeleitet vom kirgisischen Wort "ur" für "schlagen", ins Gemetzel zu stürmen – heiter im Angesicht des Todes. Es kursieren de facto zu viele Geschichten um dieses Getränk. Neben dem Alkohol gibt es auch immer mehr Heroinsüchtige im rauschfreudigen Land. Man will mir weismachen, Irkutsk hätte die höchste HIV-Rate Russlands, ob nun durch ungeschützten Sex oder wiederholt benutzte Bestecke infizierter Drogenabhängiger. Etwa zweimal die Woche finden sich neue Spritzen in unserem Treppenhaus.
Gegen Ende meines Aufenthaltes treffe ich dann zum zweiten Mal auf Mischka, mit dem verstehe ich mich am besten und mehrmals gelangen wir erst im Morgengrauen nach hause. Leider zeigt sich dieser Freund zu spät, zusammenfassend habe ich mich mit meiner Zwangsüberwinterung etwas schwer getan.
Endlich setzt Tauwetter ein, die Schneemassen am Straßenrand werden mit LKW weggeräumt, da sonst die Kanalisation überlaufen würde. Im Paß klebt das mongolische Visa, ich werde froh und feierlich im Inneren, bald kann ich wieder unterwegs sein. An einem Sonntagmorgen Mitte März ist es dann soweit. Tanja und Elena, die zwei Unzertrennlichen helfen mir noch mein Gepäck herunter zu tragen, frierend stehen sie im Bademantel am Rad - ein Bild für die Götter, während sich die Dritte oben schlafend stellt. Es gibt eine herzliche Verabschiedung, mit einem Mal merken wir, wie man sich aneinander gewöhnt hat. Ela fängt tatsächlich an zu schluchzen, ich denke nicht aus Traurigkeit, sondern vor Unvorstellbarkeit, wie sich jemand so etwas antun kann, stets allein und fremd, ständig an anderen Orten. Ich mag sie immer noch sehr, meine Russen, ihre Menschlichkeit, ihren Pragmatismus in Lebensfragen, aber jetzt brauche ich erst einmal etwas Abstand, dafür sich die Nachbarländer anbieten. Richtung Westen würde ich sonst für ein paar tausend Kilometer in den verbleibenden zwei Monaten meines Visums weiter auf der ungeliebten Trasse entlang hetzen, bis sich andere Wege anböten.
Das erste Mal auf der Reise fahre ich 560 Kilometer den gleichen Weg zurück, da der nächste Grenzübergang nur für Anreiner geöffnet ist. Zweimal übernachte ich in denselben Herbergen und siehe, diesmal ist man mir viel freundlicher gesonnen.
So ein orthodoxes Kloster interessiert mich dann doch genauer. Ich darf mich im Speiseraum an den Tisch setzen, Kohlsuppe wird aufgetischt, die Mönche ernähren sich alle vegetarisch. Der Abt reicht mir zur Begrüßung seinen Handrücken für den Kuß, ich bin so perplex, daß ich diesen schmatzend imitiere. Nach dem Essen folge ich ihnen in die Kapelle nach und lasse mit den Mönchen und ein paar Dorfbewohnern stehend eine dreistündige Liturgie mit sich immer wiederholenden Wechselgebeten zwischen Priester und Gemeinde über mich ergehen. Nach dieser Geduldsprobe meine ich dann fragen zu dürfen, ob ich nicht bei ihnen übernachten könne.
Seit einem halben Jahr wird die zerfallene mittelalterliche Anlage erst wieder bewohnt, für die Mönche eröffnet sich Arbeit bis an ihr Lebensende. Zu Sowjetzeiten verwahrte man hier Geisteskranke, die dem Gesamteindruck nach unter menschenunwürdigen Zuständen dahinvegetierten. Dieses Bild schreit mich förmlich an.
Sergey, der Netteste unter den Mönchen schließt mein Rad weg, er freut sich riesig über mein Erscheinen, früher wäre er Englischlehrer gewesen, seit 20 Jahren sei es das erste Mal, daß er wieder in dieser Sprache reden würde.
Sie tragen die Soutane und schöne lange Rauschebärte, die ihren hageren Gesichtern Würde verleihen.
Der zweite Abt will mir bange machen, alle menschlichen Handlungen seien Sünde, so zerrüttet ist sein Seeleninneres, nur durch Jesus könne man errettet werden, in seiner Haut möchte ich nicht stecken. Ich vermute bei einigen bußfertigen Mönchen, im weltlichen Leben davor homoerotische Neigungen, die in der russischen Gesellschaft immer noch als krankhaft gelten. Verständnis fanden sie nicht, es lag auch kein Delikt vor, also wohin damit, als zum Erlöser.
Über eine Wendeltreppe bringt er mich hinauf in eine Kammer voller Pritschen, das Mauerwerk mißt beeindruckende 70 Zentimeter. Vor dem Schlafen solle ich noch das Kreuz schlagen, das helfe, böse Geister abzuwenden.
Später erklärt mir der oberste Abt die Herkunft des orthodoxen Glaubens seit Petrus dem ersten Papst anhand seiner bewährten Baumschematik. Demnach sei die orthodoxe Kirche, die älteste und somit einzig rechtmäßige, durch welche Heil zu erhoffen wäre. Alle Verästelungen zum katholischen und weitere Verzweigungen zum protestantischen Glauben seien krank. Aber was ist ein Baum ohne Äste, Zweige und Blätterwerk? Ich höre seinen Erörterungen aufmerksam zu, dabei der vielen Menschen islamischen, hinduistischen, buddhistischen, taoistischen, animistischen Glaubens gedenkend, die ich unterwegs traf und frage schließlich so einfältig wie möglich, wohin er beispielsweise die Kinder stecke, welche vor Lebensschwäche sterben, ohne jemals von Glauben und Erlösung gehört zu haben, ob die wohl auch verdammt wären. Ehrlich der Antwort verlustig, spricht der gerade noch so eifernde Mönch, das wisse er auch nicht und just bedauere ich es schon wieder, ihm eine so knifflige Frage gestellt zu haben. Am Morgen geben sie mir noch eine Ikone ihres Schutzheiligen auf meinen unübersichtlichen Weg, die ich bis heute dankbar in meiner Geldbörse bewahre.
Der nächste Abend bietet zur Abwechslung das buddhistische Kloster von Dazan. Dieses Mal nehmen mich kurzgeschorene Novizen auf. Bei meinem Rundgang durchwandere ich ihre kunstvoll bemalten Holztempel, drehe mit plötzlich aufkommender Wehmut in Anbetracht der verstrichenen Zeit endlich wieder Gebetsmühlen. Mein Weg kreuzt schließlich den eines Lamas, der faßt solange meine Hand, bis er meinen Namen, Herkunft und meine Absicht herausbekommen hat. Dazu lächelt er, ganz Gewißheit, wiegt und zieht sie gekonnt, daß die Beklommenheit von mir weicht und ich ihm erleichtert entgegenlache. Selten fühlte ich binnen Augenblicken so eine Güte, wie sie dieser Mensch verströmte.
Abends tippen die Jungen ganz weltlich auf ihren Mobiltelefonen herum, manche haben "draußen" sogar eine Freundin, es sei Brauch in den Familien einen Sohn für geraume Weile ins Kloster zu schicken.
Ab und zu läutet eine elektrische Klingel im Wohnhaus, das ist der Pantschen Lama von nebenan, der oberste buddhistische Würdenträger Rußlands, der wieder etwas will. Ganz ehrfürchtig über seine Nähe äußere ich den Wunsch, ihm einen Besuch abzustatten. Am Morgen schicken sie mich mit einem blauen Tuch über die Arme gebreitet zu ihm, ich klopfe an, schon steht er da, ein Mann Mitte 40 und schiebt mich mit "Gehen Sie!" zur Tür hinaus. - Ich bin beeindruckt. Nein, ich war den halben Tag lang geknickt. "Entzaubert", sagte ich mir, "sei meine Welt, wer könne mir da noch helfen?" Aber es ist ein so schöner sonniger Tag, fünf Grad über Null und wenig Verkehr, daß die gute Laune schließlich mit der Erkenntnis zurückkehrt, er sei eben auch nur ein Mensch, unglücklich besetzt auf diesem Posten und der Buddhismus eine weitere Anleitung zur Spiritualität. Warum ich mich denn überhaupt enttäuschen lasse, sollte ich mich lieber fragen. Am Abend erklärten mir die Jugendlichen bereits, auch in ihrer Religion gäbe es Himmel- und Höllenvorstellung, was für mich ebenso neu wie ernüchternd war.
Doch soll man die Mönche ehren, da sie durch ihre Opferbereitschaft und die Kraft ihrer Gebete versuchen, die Welt im Gleichgewicht zu halten.
Grigory lud mich tags darauf von der Straße in sein armenisches Restaurant ein. So gutes Essen bekam ich seit Monaten nicht: Rinderbouillon, Schaschlik, Salat, dazwischen guten Wodka und zum Abschluß den obligatorischen Tee. Vorher wollte er mir noch den Einkauf bezahlen, was ich erfolgreich abwenden konnte. Schon einmal traf ich Armenier bei denen ich schlafen konnte, als außerordentlich gastfreundlich fielen auch sie mir auf. 1910 wollten die Türken diese verstreut lebende Christen ausrotten, zwangen sie zum Exodus, verschoben ihre Grenze, bis der von beiden Religionen verehrte Berg Ararat nun ihnen gehörte. Wurden sie jemals wegen dieses Genozids angeklagt? Franz Werfel zeichnet in seinem Buch "Die vierzig Tage des Musa Dagh" ein eindringliches Bild dieser Tragödie, dafür ihn alle Armenier danken.
Im Grenzort lasse ich mir in der Herberge wohlweislich meinen "Beipackzettel" zum russischen Visa abstempeln, ich bat selten genug darum. Dieser dient dem behördlichen Zwecke, meinen Weg durch´s Land in etwa nachzuvollziehen. Die Beamtin schaut auch tatsächlich danach und läßt mich ohne befürchtete Fragen ausreisen.
Rückenwind schiebt mich im erwachenden Frühling durch lichten Mischwald. Bald schon werden die Bäume spärlicher, die Landschaft weitet sich in sanften Hügeln, ein paar Jurten zeigen sich in der Ferne, weidende Schafe, gedrungene mongolische Pferde, wie etwas Vertrautes wirken diese Eindrücke auf den Geist, kein Lärm, keine Spur von Industrie.
Abends frage ich im Rasthaus einer einsamen Kreuzung nach Wasser und bleibe schließlich für die Nacht. Die Mädels dort haben pechschwarze Augen, wie ich´s nie zuvor sah, sind gesund und rund von der Fleischdiät und so ansteckend freundlich, daß man sich alsbald wie in der Familie aufgenommen fühlt. Selbst die Hunde schlugen bei meiner Ankunft nicht an, sondern buhlten mit geducktem Kopf und wedelnder Rute um eine Streicheleinheit, die dann meist noch zu einem Extrahappen führt.
Man serviert mir einen Berg voller Nudeln mit Schafsfleisch, den gereichten Tee muß ich ablehnen, da sie ihn wieder versalzen trinken. Das letzte wartende Bier kaufe ich aus dem Regal, wir teilen es untereinander in kleine Gläser auf. Ein passender Anlaß um - wie in so vielen Ländern der Welt - wieder einmal „Modern Talking“ vom Handy zu hören. Der Bohlen hatte mit dieser Musik einen guten Riecher und schafft es in damit in die Liste der international bekannten Exportschlager „Made in Germany“.
Schon wieder muß ich weiter, aber das erwartet man ja auch von einem Reisenden. Zum Abschied bekomme ich noch ein Eis geschenkt und fahre die nächsten Minuten mit leichtem Würgen im Hals – ein mittlerweile vertrauter Nebeneffekt, schließlich sehen wir uns auf diesem Erdenbesuch aller Voraussicht nach nicht wieder oder läuft das nächste Mal aneinander vorbei.
Ein verirrtes Lamm bittet blökend um Mitnahme, endlich mache ich die Herde aus und bringe es stolz zum Hirtenjungen, der mich seinerseits mit strahlendem Lächeln empfängt.
Entlang der Hauptstraße bleibt es wie befürchtet nicht lange still, in den Ortschaften wird wieder viel getrunken, die Straßenränder sind mit Glasscherben übersät, da es wahrscheinlich Brauch ist, geleerte Flaschen lustvoll auf der Straße zu zerschlagen. Von den Autos auf meinen Fahrbereich, dem Straßenrand gekehrt, habe ich einige Platten zu beheben. Barbarisches Verhalten erlebe ich, als ich einmal ein Zimmer in einer Privatunterkunft beziehe. Nebenan wütete ein Sturm von Besäufnis, wobei die Ehefrauen ihren Gatten in nichts nachstanden. Nach dem Verlust des Zeitgefühls delirierten sie bald, schlugen ungezählte Male gegen meine Zimmertür, weil man sich nach erfolgtem Toilettenbesuch nicht mehr an den Partyraum dieser Zwei-Zimmer-Wohnung erinnerte. Ich vermute, auch sie besitzen das spezielle Enzym des weißen Mannes nicht, das den Alkoholabbau beschleunigt, weshalb er so siegreich die „Neue Welt“ erobern konnte.
Seit diesem Abend habe ich eine vage Vorstellung, wie die Horden Dschingis Khans Anfang des 13ten Jahrhunderts gewütet haben mußten. Bis vor die Tore Wiens kamen sie ungebremst, bevor sie die Wahl eines neuen Klanoberhauptes zur Umkehr – es war kein Rückzug – befahl. Dschingis Khan, war übrigens der Erste, der mit System Menschen vernichtete. Nachdem er von einer Gesandtschaft ausrichten ließ, die nächste einzunehmende Stadt solle sich bedingungslos ergeben und, soweit ihm sein Ruf nicht vorauseilte, daraufhin meistens nicht ernst genommen wurde, befahl er in eine Stadt mit beispielsweise 10.000 Einwohnern 1000 Reiter, von denen jeder einzelne Krieger einen Mordsoll von mindestens 10 zu erfüllen hatte. Gnade kannte der Vollwaise mit edlem Blut schon in seiner Jugend nicht, als er kaltblütig seinen Halbbruder ermordete. Aus historischer Sicht muß ihm dennoch gut gesprochen werden, daß in den eroberten Gebieten seines riesigen Reiches für die nächsten 50 Jahre Frieden herrschte. In der ersten Lebenshälfte Temujin genannt, bekam er seinen eigentlichen Namen erst, als man ihn mit 39 Jahren zum Oberhaupt wählte, welcher übersetzt soviel wie „Ozean“ bedeutet. Und so war sein Vorhaben: Ein Reich zu errichten, das an alle Meere grenzen sollte.
Bis nach Ulan Bator liegen noch einige Bergzüge vor mir, deren lange Anstiege im Gegenwind noch beschwerlicher erscheinen. Selbst bei Abfahrten muß man an solchen Tagen noch in die Pedalen treten. In der Hauptstadt kümmere ich mich sogleich um das chinesische Visa, ansonsten pendele ich wie so häufig in großen Städten nur zwischen Internet, Einkaufsmarkt und Hotelzimmer, weil mich diese ungewohnte Hektik und der öffentliche Transport schnell müde machen. Auch wenn sich die Mongolische Volksrepublik nie zur Sowjetunion zählen lassen wollte, herrscht hier das gleiche Flair: Stockend überfüllte Oberleitungsbusse mit Fahrkartenverkäuferin, auf Straßen, die nach sowjetischer Planwirtschaft nie für das massive Verkehrsaufkommen der neuen Zeit konzipiert wurden. Auf dem großen betonierten Zentralplatz steht eine monumentale Reiterplastik, gegenüber thront ein riesiger buddhaisch grinsender Dschingis Khan.
Im ganzen Land grüble ich, wie es Lebensmittel der „Gut&Günstig“-Palette in die hiesigen Regale schafften, den Markt eroberten und trotzdem nicht teurer als in Deutschland sind. Sie würden ja sicher den langen Weg mit der Bahn transportiert, ob sie wohl staatlich subventioniert würden und wenn ja – von welchem Staat? Hier zeigen sich wieder meine betriebswirtschaftlichen Defizite.
Nach Süden wird es endlich flach. Der letzte Schnee fällt am 11ten April, dies war ein langer Winter! Eine 200 Kilometer lange neu asphaltierte „Millenium-Trasse“ führt mich bis nach Choir. Als das politische Klima zwischen Moskau und Peking sich in den 50er Jahren dramatisch verschlechtere, wurde dieser Ort zur Garnisonsstadt ausgebaut. Nun gähnen dort fensterlose Wohnblockreihen in die Weite der Steppe. Ein riesiger Lenin mahnt dahinter immer noch zur Wachsamkeit.
Zehn Kilometer weiter hört die Straße dann unvermittelt auf, kein einziges Hinweisschild steht an den Weggabelungen, ich holpere nach Gefühl auf den etwas mehr ausgefahrenen Pisten. Abends zelte ich neben einer Jurte im Windschatten des Ziegenstalls und ziehe meine breiteren Reifen auf, um den steinig-sandigen Konditionen etwas besser entgegen zu wirken. Ein Durchgeknallter mit Kleinkind, er sei Vater und Mutter in einem, parkt seine „Iszh“ ab, setzt sich genau vor´s Zelt und meint nun, seine Pulle bei mir austrinken zu können. Später erbricht er sich für eine Viertelstunde und will mit seinem Motorrad weiter. Alle hundert Meter geht sie aus, so verschluckt sie die kalte Finsternis und mich barmt das Kind. Die erwachsene Tochter der Jurte scheint auch etwas unterbelichtet. Sobald sie sich mit mir Fremden unterhält, wackelt sie vor Aufregung ständig von einem Bein auf´s andere. Das surrealistische Bild leerer Betonklötzer wiederholt sich noch für die nächsten zwei Tage, alles starrt argwöhnisch auf mein Rad, seit Peru fliegen mir mal wieder ein paar Steine aus einer halbstarken Gruppe entgegen.
Verfahren kann ich mich nun nicht mehr, ich muß mich auf dieser fünfhundert Meter breiten Piste nur nach der Bahnlinie oder den Strommasten orientieren. Allerdings wählte ich abschnittsweise die Option, mich für die falsche, noch weniger frequentierte Seite der Bahnlinie zu entscheiden. Sichte ich mal wieder ein Auto, so schiebe ich gleich das Rad dorthin, weil ich mir einbilde, der Fahrer wüßte sicherlich, wo sich die beste Fahrspur befinde. Oft gibt es lange Sandpassagen, häufiger noch Geröllabschnitte, meine Geschwindigkeit pendelt sich bei neun Kilometer pro Stunde ein. Anstatt veranschlagter vier Tage bis zur Grenze werden schließlich acht daraus. Es ist hier so einsam, daß mich die Lokführer der Kohlenzüge manchmal hupend grüßen. Das ist also ein oberflächlicher Eindruck der riesigen Gobi. So habe ich die Wüste noch nie erlebt. Einmal kann ich meinen Augen kaum trauen, als ich abseits eine kleine Kolonne Autos entdecke, die sich bald als Cabriolets entpuppen. Die Fahrer empfangen mich beim Heranholpern anerkennend mit Applaus. Sie gehören zu einer zeitlich versetzten Gruppe von Niederländern, die von ihrer Heimat bis nach Singapur unterwegs sind. (unter www.cabriochallenge.nl) Vor zwei Wochen seien sie losgefahren, immer mit offenen Verdeck, selbst durch Sibirien, erklären sie mir stolz. Ich freue mich über ihre Exzentrizität, so wie sie sich über meine, zurück bei mir staune ich über die Extravaganzen meiner Herkunftswelt.
Im Ort Sajnshand komme ich mit einem Studenten aus der Hauptstadt ins Gespräch, der hier geologische Untersuchungen an goldhaltigen Erzen unternimmt. Er will wissen, wo ich die Nacht verbracht hätte, ich antworte ihm, ich hätte hinter einem Strauch biwakiert. Der Schalk fragt mich, wo dieser Strauch gewesen wäre und ich meine lachend „Give me five!“, denn hier gibt es wirklich nur Geröllwüste bis zum Horizont. Steine, überall nur Steine, gleich einem Blick in eine versteppte Zukunft.
Sein Fahrer fragt mich nach dem Weg, sie wollten nun zu einer weit entfernt liegenden Mine. Da sie auch kein Navigationsgerät haben, überlasse ich ihnen mal lieber meine Karte, um sich wenigstens etwas orientieren zu können.
In den wenigen Siedlungen wird das Wasser aus dem Tank verkauft. Kinder zerren oder schieben dann die vollen Fässer auf Sackkarren nach hause. Da ich mich ermüdender Weise immer nur um mich selber kümmern muß, ergreife ich die Gelegenheit, helfe ein bißchen schieben, schon ist die Nähe hergestellt und die Nachbarskinder gesellen sich dazu.
90 Kilometer vor der Grenze bette ich mich wieder hinter einem Busch zur Nacht. Der Wind dreht, nimmt zu und sandet mich ein. Da kann man nichts anderes machen, als ruhig zu bleiben. Man wacht und Begebenheiten kommen in den Sinn, Zeit wird bedeutungslos, man ist nicht müde, nicht traurig, nicht einsam, nicht einmal allein bei seinen Gedanken, das eigene Leben rückt in die Perspektive es gibt keine Eitelkeit mehr und auch keine Wertung. Ich liebe die Nacht. Oft fühle ich mich am nächsten Morgen dann geläutert, wie zurück im Leben und der Sonnenaufgang wird zur Sensation.
Gerade schaffte ich es noch, meine Sachen einzupacken, dann hob der Wind schon wieder an. Da er aber von hinten drückte, war ich guter Dinge, den nächsten Ort an der Grenze wie geplant zu erreichen. Immer stärker wurde er, an Umkehr war nicht zu denken. So ließ ich mich von ihm treiben, sah oft nur noch zehn Meter weit, die vorher glänzenden Schutzbleche wurden dabei sandgestrahlt. Je länger ich dort in der Weite umher holperte, hoffend, das Rad würde nicht brechen, ich bliebe auf dem Weg, so froh, wenn ich den nächsten halb zerfallenen Kilometerpfeiler entdeckte, je länger ich mich so im Chaos bewegte, umso mehr wurde mir bewußt, man könne hier ganz schnell verloren gehen. Genug Wasser zum Abwarten hatte ich auch nicht, gerade einmal zwei Liter, wo sollte man hier auch Schutz finden. Ein LKW kam mir entgegen, man lud mich zum Verschnaufen ins Führerhaus ein, gab mir Brot und Wasser und schüttelte bedenklich die Köpfe. Später stürzte ich auch noch und verletzte mich am Handballen. Mittlerweile bereitete es schon Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten, soviel Sand war trotz der Brille darin.
Dann fuhr eine Taigatrommel heran, die beiden Jungen luden mich auf und so schaffte ich es doch noch zur Grenze. Kann man sagen, sie kamen zur rechten Zeit? Der Sturm hielt noch zwei Tage an. Für die nächsten Wochen benahm ich mich wieder einmal ziemlich dankbar.
Diese Nacht verbrachte ich in einer Herberge, um mich und meine Habe für den Grenzübertritt in Ordnung zu bringen. Gleich hier begegneten mir die ersten chinesischen Montagearbeiter. Ist es nun Selbstbewußtsein oder Unsicherheit, Zurückhaltung oder schlicht Gruppenverhalten - die Männer sind alle mit ihren Mobiltelefonen beschäftigt, schauen gekonnt vorbei, verhalten sich grußlos, ganz anders als die stets fröhlichen Mongolen.
Am letzten Kontrollpunkt auf mongolischer Seite will man mich nicht aus eigener Kraft zur Grenze rollen lassen, aber ich kann mich erfolgreich stur stellen, bis mich die Posten endlich ziehen lassen. Auf chinesischer Seite kommt es erst gar nicht zur Diskussion, der nächste LKW hinter mir wird kurzerhand angehalten und muß mich wohl oder übel die 500 Meter zur Paßkontrolle mitnehmen.
Von dort wird mein geduldiges Rad sodann ungefragt in einen Minibus mit anderen Mongolen gepfercht, der uns aus dem großzügig angelegten Grenzgürtel in die nahe Stadt bringt. Dort dringe ich alsbald darauf, freigelassen zu werden, aber zuvor muß ich noch meinen Anteil für´s ungerufene Taxi berappen.
Eine aus dem Boden gestampfte Stadt zeigt sich, alles neue Gebäude und breite Straßen darauf endlich viele Radfahrer balancieren. Ich drehe ein paar Runden, ziehe Geld und entdecke anhand von Leuten mit Reisegepäck eine versteckte, billigere Herberge. Zur Eingewöhnung bleibe ich drei Tage, wasche den Sand aus Schlafsack und Kleidung, probiere die lokale Küche und schraube mich wieder am Rad fest. Außerdem lerne ich schnell noch alle 2236 Schriftzeichen der reformierten chinesischen Schrift zu schreiben und ihre 411 unterschiedlichen Silben in den vier verschiedenen Betonungen richtig auszusprechen und anzuwenden.
Mit 25 Stundenkilometern rolle ich dann auf einer nagelneuen vierspurigen Mautstraße weiter, sofern es der einzige Weg ist, sind die immer kostenlos für Radfahrer. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auf so guter und vor allem leerer Straße gefahren zu sein. Der gewünschte Effekt tritt ein: Ich bin erst einmal schwer beeindruckt von diesem neuen China. Noch habe ich keinen Schimmer davon, wie sie das finanzieren. Die Leute sind recht nett und angenehm zurückhaltend, alles Essen ist neu für mich und vor allem sehr billig im Vergleich zu Rußland, wo man sich häufig noch nach 20 und mehr Jahren ohne Erneuerungen und trägen Sowjetservice grundlos westlicher Preise bedient und so die Stände immer schneller auseinander driften.
Doch schon am nächsten Tag holpere ich auf alter, geklebter Straße weiter. Da sie dazu noch recht schmal ist, muß ich mich wohl langsam an das Dauerhupen gewöhnen. Dauerhupen bedeutet in neu von zehn Fällen für einen Radfahrer weltweit: „Aus dem Weg du Niete!“, „Ich habe es weiter gebracht, als du!“ Später im Land werde ich feststellen, daß man gerade in dicht besiedelten Gebieten Chinas den langsameren, vermeintlich verträumteren Verkehrsteilnehmer so auf sich aufmerksam machen will. Dieser verläßt sich denn auch auf die Hupe des anderen, so ist er es gewohnt und biegt sturen Blickes aus der Seitenstraße. Vorfahrt durch akustisches Signal, so werden Verkehrsregeln widersinnig. Wer bekommt aber die Schuld, wenn es doch kracht? Wie wird hier beurteilt? Da hilft nur eins: Alles daran zu geben, auch aufzusteigen in der Fortbewegungskaste – ein Auto muß her, nur so kann man sich sicher fühlen!
Die Menschenflut steigt beständig. Parallel verläuft jetzt wieder eine nagelneue Autobahn, doch darauf fährt fast niemand, sie kostet ja Gebühr. Bald wird die Nebenstraße zur endlosen Baustelle, der Beton ist zum Aushärten mit Folie überdeckt und diese mit Erdreich beschwert, die Autos sind verschwunden, aber wohin?. Alle paar hundert Meter muß ich wegen einer Brückenkonstruktion in den Graben, bis es mir schließlich reicht. Ich fahre einem Moped hinterher, an der ersten Autobahnunterführung suche ich mir ein Loch im Zaun und bringe meine Fuhre stückchenweise die steile Böschung hinauf.
Natürlich ist es verboten, auf der Autobahn Rad zu fahren, vor allem nachmittags gänzlich unangebracht, dann wird es unanständig. Dann werde ich völlig selbstverständlich rechts auf „meinem“ geschlossenen Seitenstreifen überholt. Und zwar fast ausschließlich von neuen Audi- und VW-Modellen, in einheitlichem Schwarz gehalten.
So homogen stumpf und pausbäckig sind auch deren Lenker. Zu Abertausenden räumen sie sich im Land damit ihre Privilegien ein. Diesen Neureichen und ihren Hunger nach ausländischen Luxusgütern verdankt Ferdinand Piech seine Rekordumsätze seit über einem Jahrzehnt und prahlt damit zu hause, als ob es der deutschen Volkswirtschaft zuträglich wäre.
Der Wahn vom Herrenmenschen lebt unter der größten ethnischen Volksgruppe der Han-Chinesen fort. Die gesamte Führungsspitze in Politik und Wirtschaft gehört ihr an. Alle vereinnahmten Gebiete in diesem Riesenreich sind von ihnen unterminiert. Alle wichtigen Ämter an sie vergeben. Ihr Erfolg beruht auf dem Willen zur Anpassung, wo immer sie sich ansiedelten und dem stillschweigenden Anerkennen einer Hierarchie, einer Kastengesellschaft nach innen, trotz Mao ´s Reden der Gleichheit nach außen. Wie sonst könnten 1,1 Milliarden ihrer Art zusammenleben?
Zügig komme ich die nächsten zwei Tage voran, da ich bei der allgemeinen Geschwindigkeit nur selten eine Pause einlege. Gegen Abend findet sich auch immer noch vor der Mautstation einer Ausfahrt ein Loch in der Absperrung, so ´brauch ich mir das Gezeter an der Schranke nicht anzuhören. Dann endlich gibt es wieder andere Straßen. Wenn ich aus Mangel an ruhigen Schlafplätzen nach einer Herberge suchen muß, finde ich sie in solchen schnell wie lieblos hochgezogenen Straßenzügen, aus denen halb China besteht, zur Straße hin mit verschalter Fassade, nach hinten aber an westlichen Maßstäben gemessen als Baustelle zu bezeichnen, ohne sanitäre Einrichtungen. Irgendwo in der Straße wird es wohl ein Badehaus geben, aber so gut, kenne ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus. Am Morgen stake ich dann vorsichtig durch das „Minenfeld“ hinterm Haus, bis ich schließlich auch noch dazwischen meine Markierung lasse. Natürlich ist das für den Neuling erst einmal ziemlich eklig, aber damit hat es sich wohl schon, die Sonne läßt die Häufchen ja schnell vertrocknen, das Papier wird mit dem nächsten Regen halbwegs kompostiert – die Menschenflut in dicht besiedelten Gebieten braucht einfachere Lösungen, ähnlich wie in Indien. Die Häufchen dieses Standes ohne Wassertoilette zeugen auch von ausgewogener Ernährung, recht fest, nicht flüssig, oder unverdaut stinkend, deswegen brauch man sich nicht zu genieren, kein übertriebener Alkoholkonsum, Fleisch als Beilage, wenig Süßspeisen, all dies erkennt auch das ungeübte Auge schon im Vorbeigehen. Das sollte unbedingt auf dem Programm eines begeisterten Chinatouristen stehen – ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Dem nimmermüden Betrachter wird sich das Land an jedem neuen Tag in anderen Facetten zeigen.
An was ich mich aber nie gewöhnte in Ostchina, waren die Kettenhunde auf der straßenabgewandten Seite.
Warum man sie sich hält, ist mir ein Rätsel. Bloß als Wachhund? Oder vielleicht doch als Mastvieh?
Nur der Besitzer, „Herrchen“ oder „Frauchen“ kommt mir schwer über die Lippen, traut sich heran, einmal am Tag, wenn man die Essensreste heraus trägt. Sie bekommen keinerlei Zuwendung, nach der sie jedesmal neu winseln, sind halb wahnsinnig von diesem angepflockten Leben im Halbkreis. Nicht einen dieser räudigen Hunde wage ich im ganzen Land zu streicheln. Auch hier zeigt sich der Tod dem Zuschauer wieder als Erlösung aus der Misere. Dieses Schicksal teilen ausschließlich Mischlingshunde, der Pekinese dagegen darf hier frei herumlaufen und gebärdet sich mächtig. Nur schwer fällt es mir, an dieser Tierhaltung nicht vorschnell auf den Menschen zu schließen.
Neben der Autobahn, die sich „Expressway“ nennt und deren Ausfahrten ebenso nach amerikanischem Muster durchnumeriert sind, bestellen dagegen Bauern die Felder wie vor tausend Jahren mit Esel oder Ochse vor die Egge gespannt. Nirgends entdecke ich Landmaschinen, man hat ja genug Menschenpotential. Dabei sehe ich gar nicht alle emsig arbeiten, wie man es vielleicht vermuten würde, die Masse macht es eben.
Der letzte längere Anstieg wirkt wie eine Klimascheide, dann rolle ich hinab in den Frühling, in die riesige fruchtbare Ebene aus der Peking gespeist wird.
Blühende Obstbäume begrüßen mich, lauer Wind weht mir Fliederduft in die Nase, mit einem Mal ist es warm, alles grünt, wie lange haben meine paar Sinne das vermißt!
Die Landbevölkerung empfängt mich freundlich, man schenkt mir Gemüse, zeigt mir verwundert den Wasserkanal, weil sie es nicht fassen, daß so ein Ausländer nicht unbedingt Luxus erwartet, dann suche ich mir im letzten Dämmerlicht einen Schlafplatz. Am darauffolgenden Morgen beobachtet ein Mann aus sicherer Entfernung über einen Graben hinweg jede meiner Bewegungen vom Augenaufschlagen an. Nach einer Stunde hole ich endlich meinen Fotoapparat heraus, postiere mich gut sichtbar und beobachte ihn nun durch das Teleobjektiv. Bald beginnt er zu verstehen und verdrückt sich.
Ein anderes Mal darf ich auf einem Schulgelände schlafen, die Englischlehrerin besucht mich mit ihren Vorzeigeschülern, fast schäme ich mich, entgegen den Erwartungen einfach unter freiem Himmel zu biwakieren. Mehrmals am Tag erklingt Propaganda aus den Lautsprecheranlagen kleinerer Dörfer, um die desinteressierten, weil ungefragten, am Aufschwung nicht beteiligten Bauern zu agitieren.
Bei Badaling erreiche ich dann ganz unerwartet einen ausgezeichnet rekonstruierten Teil der Chinesischen Mauer. Eigentlich wollte ich den heutigen Sonntag dazu verwenden, in Peking einzufahren, aber ich kann hier jetzt unmöglich einfach vorbeiziehen. Dies ist auch der meistbesuchte Abschnitt der Mauer so nahe der Hauptstadt, weshalb ich nicht weiter verwundert bin, über den nicht abreißenden Besucherstrom. Wo kann ich jetzt nur mein Rad zurücklassen? Ich fahre zur Polizeiwache, aber die wimmeln mich ab. Doch in den spaßigen Köchen, die nebenan im Freien körbeweise Zwiebeln schälen, habe ich bald Verbündete gefunden. Im Wäscheraum stauche ich schnell meine verdreckte Jogginghose durch, alles muß unbedingt gewaschen werden, weil ich keine Lust habe, als Einziger in dieser Masse in Radhose herumzulaufen. Es reicht mir, daß ich sonst sowieso jedem als Radwanderer ins Auge steche.
Selbst die Touristenpolizei am Eingang weigert sich, Verantwortung für mein Rad zu übernehmen. Ich protestiere, das sei schließlich einer der touristischsten Orte Chinas, ein simples „no“ könne ich nicht akzeptieren. Zwei Studentinnen halten auf sich und ihr Land und besorgen mir einen Abstellplatz in einem nahegelegenen, gänzlich unbesuchten Internetcafé.
Dann klettere ich endlich unzählige Stufen dieses Abschnittes und versuche mir wieder vorzustellen.
In den Anfängen im 5ten Jahrhundert vor Christus, als das Reich noch nicht geeint war, bauten die Chinesen noch an Abgrenzungen, um sich voreinander zu schützen.
Unter dem ersten und legendärsten Kaiser Qin Shihuangdi, der vor seiner Krönung die verfehdeten Staaten unterwarf,das Reich damit erstmals einte, entstand in den Grundzügen die eigentliche Große Mauer, welche während der verschiedenen Dynastien immer besser gefestigt und nach Westen hin bis Mitte des 17ten Jahrhunderts ausgebaut wurde. Zum einem um das Reich vor den Tataren zu schützen, die Seidenstraße als wichtigste Handelsroute abzusichern, doch zum anderen – eine von Franz Kafka skizzierte Sichtweise – um die abkommandierten Tagelöhner, Handwerker, Bauern und Baumeister aus den entlegensten Gebieten quer durch das Land geführt von seiner schier unglaublichen Größe zu beeindrucken, in dem Gefühl, sie am Aufbau des ewigen Ruhmes Chinas teilhaben zu lassen. So läßt sich wohl am ehesten erklären, warum dieses größte Bauwerk der Menschheit ein unterbrochenes ist, anstatt ein vollständiges Bollwerk gegen die Mongolen darzustellen. Wahrscheinlich sind die auch durch diese Lücken im System eingefallen und regierten über ein Jahrhundert lang ihr Reich von der strategisch günstig gelegenen Stadt Dadu, dem späteren Peking aus.
Am Abend habe ich dann die 16-Millionen-Metropole Peking erreicht. An einem Zeitungsstand kaufe ich mir einen Stadtplan, den ich drehe und wende, ohne daraus schlau zu werden, wenigstens kann man mir aber zeigen, wo ich mich befinde. Die Müdigkeit ist längst verflogen, mittlerweile habe ich mich dem Verkehrsfluß angepaßt und lasse mich auf der breiten Fahrradspur zwischen all diesen Rädern mit und ohne Elektromotor treiben. Gegen 22 Uhr habe ich dann den Stadtkern passiert und finde in einer Seitenstraße noch ein kleines, freundliches Hotel. Mit „freundlich“ umschreibe ich einzig das Zugeständnis, mein geliebtes Rad auch mit ins Zimmer nehmen zu dürfen, sogleich verwandle ich mich in einen ausgesprochen sympathischen Gast. Ich erwarte keinen Service, nur Kulanz in dieser mir sehr wichtigen Angelegenheit. Nur so vermag ich ruhig zu schlafen.
Am nächsten Nachmittag besucht mich Wu Jiang, mit dem Joachim von Lhasa bis zu ihm nach Hause radelte, um dann noch einen weiteren Monat zu verweilen. Der bringt mir vorausgeschickte Ersatzteilpakete vorbei, lädt mich zum Essen ein und erklärt schließlich, ich solle bei ihm wohnen, anstatt unsinnig Geld ans Hotel zu verschwenden. Am nächsten Tag versuche ich sein Hochhaus zu finden; nachdem ich dreimal im Kreis gefahren bin, muß ich ihn jedoch anrufen, er solle mich bitte abholen. Eigentlich war es nicht weit vom Hotel, das wußte ich schon vor dem Treffen, aber seine Straße ist so riesig, wie unübersichtlich durchnumeriert, daß ich ihn bemühen mußte.
Er bewohnt ein nettes Apartment im zehnten Stock, welches er sein eigen nennt. Es besteht aus einem großen Raum, eine durch eine Glasfront abgetrennte Küche und sogar einem Balkon, einer Katze ohne Namen und einem kleinen Hund „Bembem“, was soviel wie „dumm“ bedeutet. Der verdient auch diesen Namen, denn er steckte mehrmals sein Revier an meinen weit gereisten Taschen ab. Zugegeben, er war nicht der erste Hund, der, fasziniert von dieser Welt voller Gerüche, sich gedrungen sah, sein Autogramm darauf zu hinterlassen. Die Katze durchstöberte in ihrer unendlichen Langeweile täglich meine Ausrüstung und kratzte schließlich das erste und einzige Loch in meine Luftmatratze. Das ist sicherlich einzigartig, da eine solche Matte ihren Besitzer sonst nur durch Dornenstiche oder den unheilbaren Matratzenkrebs - wenn sich nämlich der Kleber innen vom Gewebe ablöst, auf sich aufmerksam macht.
Wir beide eckten ein paarmal aneinander an, aber nach drei Tagen mochten wir uns ohne weitere Vorbehalte. Ganz wenig Englisch spricht er und übersetzt es wie in seiner Sprache: „You speak what?“ Im Grunde genommen ist er ein ganz untypischer Chinese, da er keine Scheu kennt, Emotionen zu zeigen.
Wenn ich irgendwo im Land eine Ersatzfelge für meine 28-Zoll-Räder bekommen könnte, dann wohl hier in dieser alten Handelsstadt. Jiang, als Freund darf ich ihn nun mit dem Vornamen ansprechen, fährt mit mir einen Tag im Bus herum, aber die Suche bleibt erfolglos.
Dafür kann ich vor Ort behelmten Vögeln beim Bau des riesigen Vogelnestes, dem künftigen Olympiastadion zuschauen. Busfahren ist anstrengend, die Stadtlinien selbst sind zwar sehr modern, aber immer voll und man steht die ganze Zeit dicht gedrängt. Auch der Bus steht immer häufiger, je mehr er sich dem Zentrum nähert. Den Autobesitzern geht es da nicht besser, aber sie dürfen wenigstens selber bremsen und Gas geben und ihren geringen Vorteil trotzig aussitzen.
Wir laufen herum, er zeigt mir die vielen Gesichter der Stadt, immerzu will er mich einladen, dabei hat er zur Zeit selbst kaum Geld. Da sitzt eine Gruppe hübscher Mädchen, die winken uns zu, jetzt will ich Jiang mal einladen und wieder ist er zu bescheiden. Offiziell ist hier Prostitution zwar verboten, aber sie wird wohl in keinem Land der Welt streng geahndet. In China sind solche Etablissements als Wellnesshotels im großen Stil und abertausenden von Frisierläden geduldet, aus welchen man als unwissender Ausländer von aufreizend gelangweilten Damen angerufen wird. Auch in sämtlichen Hotels der mehr oder weniger gehobenen Preisklasse erkundigt man sich telefonisch allabendlich beim Gast, ob man ihm eine Freude bereiten könne.
Alles ist möglich im neuen China, das sich über Nacht vom Staatskommunismus zum Kaderkapitalismus gewandelt hat. Man muß nur an der richtigen Stelle mitlachen über andere Dinge großzügig hinwegsehen, will man auf der Erfolgsleiter aufsteigen. Worüber regt sich der westliche Kritiker nur auf, solange er keine Alternativen vorstellt, von ihm stammt diese Wirtschaftspolitik schließlich, dort läßt er gewinnträchtig produzieren, dafür erfand er das Wort „Globalisierung“. China kopiert doch nur alles bis ins Detail, nachdem man jahrhundertelang von ihnen Erfindungen, Produkte und deren Herstellungsstechniken „übernahm“. Italiener beispielsweise wollen nur ungern daran erinnert werden, daß ihre „Pasta“ von Marco Polo eingeführt wurde.
Vom Reis ernährt man sich hauptsächlich im tropischen Südosten, die weiten Ebenen des Nordens sind daher traditionelles Weizenanbaugebiet.
So groß wie das Land, so vielfältig ist auch sein Essen. Immer wieder führt mich Jiang zu beliebten Restaurants seiner Nachbarschaft, spezialisiert auf Frühstück oder Abendgerichte, zu Teehäusern und ihren Gebäckständen, bestellt uns Speisen, die seiner Meinung nach die Peking-Küche ausmachen.
Auch zu Hause beweist er seinen guten Geschmack als Hobbykoch. Er erklärt mir, daß eine chinesische Soße viele Jahre alt sein kann, weil man deren Reste beim Kochen immer wieder an die Neue anbindet und sie deshalb so einen rauchig-intensiven Geschmack entwickelt.
Anstatt die Mahlzeit etwas verdauen zu lassen, springt er nach dem letzten Bissen sofort auf, „so sei es in China üblich“, sagt er, die nächsten Monate im Land werden mir diese Angewohnheit noch bestätigen. Sicherlich ist das einer der Gründe, warum es verhältnismäßig wenig dicke Menschen in Südasien gibt.
Mit dem Rad kommt man von morgens bis nach Mitternacht viel besser voran, als mit den Öffentlichen, am Anfang kostet es mich zwar noch einige Überwindung, die Stadt alleine zu erkunden, doch schließlich macht es mir sogar Spaß. Man muß sich nur dem Rhythmus anpassen, nicht zu schnell fahren wollen, sondern mit dem Strom. Außerdem kann man sich in China überall recht sicher vor Überfällen fühlen.
Die verbotene Stadt ist natürlich Programm, über Jahrhunderte war dies das Zentrum im Reich der Mitte. Die Herrscher und ihre Zeit bedenkend wandere ich durch die Höfe und Gärten. Jeder Kaiser verewigte sich in einem Palast, einer benannte den seinen mit „Nichts tun“, der hat es mir natürlich besonders angetan. Die Weisen wissen es alle: Zur Erleuchtung gelangt man nur durch Lauschen, durch Abschalten jeglichen Gedankens, dann erfährt man die „Nullzeit“ - einen Hauch von Ewigkeit, Gottes langen Atem.
Die Schönheit winkt aus jedem Detail, die großen Meister, die besten ihres Handwerks wurden aus allen Ecken des Landes herbeigerufen. Niemals wird ein Besucher des Komplexen, der Welt im Kleinen, die sich hier zeigt, gerecht. Es reicht für ein paar Bilder, doch wird man nicht in Betrachtung versinken können. Aber man kann sich anhand seiner Schnappschüsse vormachen, einen Haken dahinter gesetzt zu haben.
An der Außenmauer blickt dann noch ein drei mal vier Meter großes Portrait Mao Zedongs auf den anliegenden „Platz des Himmlischen Friedens“, der seine Unschuldigkeit Anfang Juni 1989 beim Massaker an den Studenten verlor.
Tags darauf traf ich mich noch mit Jiang´s Ex-Freundin, die Englisch studiert hat. Der große Vorteil zeigt sich beim Umgang mit Ausländern, wenn man der allgegenwärtigen Manipulation etwas entfliehen will, da selbst die 54 staatlichen Kanäle des Kabelfernsehens nur in Landessprache senden. Gerade mal auf einem Kanal kann man nach Mitternacht einen schlecht synchronisierten, völlig unpolitischen, mindestens 20 Jahre alten Amistreifen finden. Jiang hat sympathischer Weise gleich gar keinen Fernseher, sondern nur Internetzugang.
Gute Gespräche hatte ich mit Li Jue, ja Diskussionen entwickelten sich gleich beim ersten Treffen. Sie brachte mich zur Ausländerpost, anschließend besuchten wir ein altes Planetarium. Wir kamen ungelegen, denn man drehte gerade einen Werbefilm für die Olympischen Spiele. Protagonist war der berühmte Pianist Lang La, zuvor hatte ich seinen Namen noch nie gehört, aber so heißt er wirklich, bei uns nennt man ihn aus unerfindlichen Gründen Lang Lang, einer stumpfen Wiederholung des Zunamens. Er spielte dort vor der abendlichen Kulisse so gut, so mit Freude und Inbrunst, daß es mich mal wieder berührte. Ein paar weibliche Fans standen reserviert dabei und schossen Unmengen Fotos von diesem begehrten jungen Single. Einmal nickte er mir zu, nach Beendigung seiner Fingerübungen fragte er mich tatsächlich auf englisch woher ich käme, das konnte ich ihm sogar auf chinesisch sagen, worauf er mich dann auf deutsch grüßte! Li Jue dränge mich, ihn doch in ein Gespräch zu verwickeln, doch dazu kam es nicht, ich denke mir immer, solche prominenten Leute wollten vor allem ihre Ruhe haben, dabei könnte es aber sein, sie litten unter ihrer Isoliertheit, an dem Rummel um ihre Person.
Auch sie wollte das Essen bezahlen, es wäre einfach so üblich im Land, wenn man einen Gast hat. Ich mußte protestieren, es sei schließlich meine Idee gewesen und verwies auf mitteleuropäische Richtlinien. Wie ich mich bei Jiang bedanken könnte, wollte ich von ihr wissen. Ich könnte ja ein wenig Obst kaufen, vielleicht ein paar Leckereien für die Tiere, aber bitte so dezent, daß sich der Gastgeber nicht gekränkt fühlen müsse.
Sie schenkte mir das Bier ein, daran könnte ich mich glatt gewöhnen – wer sich selber einschenke, sei einsam! Hier winkt die uralte Weisheit Chinas. Das Handeln eines jeden sei bestrebt, dem Nächsten zu dienen, von der irdisch bedingten Einsamkeit, die mit der Abnabelung beginnt, abzulenken!
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